Exploration
8. Wann hatten Sie den ersten Kontakt mit Alkohol und wann haben Sie das erste Mal Alkohol zu sich genommen?
(Allererste Erinnerung und erster Konsum)
Ich hatte auf Familienfeiern nachgefragt was die Erwachsenen trinken.
Mir wurde als Kind circa im Alter von 10 Jahren gesagt, dass es Getränke nur für Erwachsene gäbe und dass diese nichts für Kinder sein.
Erstmalig habe ich mit 16 Jahren Alkohol konsumiert.
9. Haben Sie regelmäßig Alkohol getrunken, und wie hat sich ihr Trinkverhalten in den letzten Jahren entwickelt?
21-27 Jahre:
Regelmäßiger Konsum begann in meiner Studienzeit von 2008 bis 2014.
In der Zeit habe ich an circa 12 Unipartys teilgenommen und bin mit Kommilitonen alle paar Monate nach den Vorlesungen am Freitag in eine Bar gegangen. Erstmalig habe ich mehrere Tage am Stück auf unserer Bachelor-Abschlussreise 2012 (25 J.) getrunken.
3x im Jahr habe ich mich mit meiner besten Freundin getroffen, die immer viel im Ausland war. An den Abenden haben wir getrunken.
Gelegentlicher Konsum, wenn ich auswärts Essen gegangen bin, im Theater oder auf Konzerten war (ca. 4x im Jahr).
32-34 Jahre:
Ich bin in einen Freundeskreis gekommen, der sehr viel Alkohol konsumiert hat.
Mit diesen ehemaligen Freunden habe ich fast jedes Wochenende getrunken.
Immer wenn wir uns getroffen haben, habe ich Alkohol konsumiert.
Mit diesen Freunden bin ich auch verreist und habe im Urlaub täglich getrunken über einen Zeitraum von 5 Tagen.
10. Wie viel und wie oft haben Sie getrunken?
(Genaue Angaben in Sorte, Menge, Häufigkeit)
16 Jahre:
Erstes Bier á 0,33l.
16-21 Jahre:
Gelegentlich 1 bis 2 Bier á 0,33l im Sommer mit meinem Partner – ca. 1-2× im Monat am Wochenende während der Sommermonate. Becks Gold, Becks ice.
Jeweils 1 Glas Sekt á 0,2l zum Anstoßen an Geburtstagen, Weihnachten, Neujahr.
21-32 Jahre:
Ca. 12 Unipartys an denen ich im Schnitt jeweils 3-5 Bier á 0,33l getrunken habe.
Erstmaliger Kontakt mit dem Getränk „Mexikaner“ auf einer Uni Party, diesen aber nur einmal konsumiert, da ich ihn nicht mochte.
Alle paar Monate (ca. 3x im Jahr) mit Kommilitonen freitags in eine Bar gegangen. Dort jeweils ca. 4-6 Bier á 0,33l getrunken.
Auf der Bachelor-Abschlussreise (2012) täglicher Konsum von Alkohol über 4 Tage.
Jeweils 3-4 Bier á 0,33l.
Jeweils 1 Glas Sekt á 0,2l zum Anstoßen an Geburtstagen, Weihnachten, Neujahr.
3x im Jahr mit meiner besten Freundin zu zweit zwei Flasche Weißwein getrunken, also jeweils ca. 3,75 TE.
Gelegentlich zu besonderen Anlässen ein bis zwei Trinkeinheiten getrunken, z.B. in einem Restaurant oder im Theater 1 Glas Wein/Sekt/Bier beim Essen/im Foyer mit meinem Partner oder mit den Eltern. Bei einem Konzert waren es im Schnitt 3 Bier á 0,33l.
32-34 Jahre:
Gelegentlich zu besonderen Anlässen ein bis zwei Trinkeinheit getrunken, z.B. in einem Restaurant oder im Theater 1 Glas Wein/Sekt/Bier beim Essen/im Foyer mit meinem Partner oder mit den Eltern. Bei einem Konzert waren es im Schnitt 3 Bier á 0,33l.
Gelegentlich mit meinem Partner ein bis zwei TE Whisky (á 0,02l) ca. 4x im Jahr.
Erhöhter Alkoholkonsum zusammen mit einem neuen Freundeskreis fast jedes Wochenende (1-2x die Woche). An solchen Abenden ca. 3-4 Bier á 0,33l und nun auch Mischgetränke wie Vodka-Zitrone im Schnitt ca. 2-6 Getränke á 0,3l.
Starker Konsum während der Urlaube mit dem ehemaligen Freundeskreis. Insgesamt 2 Reisen á 5 Tage im April und August 2021. In der Zeit täglicher Konsum von Bier und Mischgetränken in exorbitantem Ausmaß. Beginn des Konsums bereits vormittags mit dem ersten Bier. Zur Zeit der ersten Reise hatte ich zum ersten Mal bereits vormittags getrunken, zuvor geschah dies nur am Abend. Über den Tag verteilt ca. 6-8 Biere á 0,33l. Abends dann Mischgetränke mit Vodka oder Rum, im Schnitt ca. 2-6 Getränke á 0,3l.
Erhöhter Konsum bei drei Fimenfeiern und -Events. Mehrere Bier á 0,33 (im Schnitt 4 Bier) und Mischgetränke mit Vodka oder Rum (im Schnitt 3-4 Getränke á 0,3l).
11. Wo und mit wem haben Sie überwiegend getrunken?
Mit meinem ehemaligen Freundeskreis bei privaten Partys oder Urlauben.
Mit meinem Partner zuhause oder im Restaurant.
12. Warum haben Sie getrunken?
(Innere + äußere Motive)
Bereits in meiner frühen Kindheit habe ich einen starken Ehrgeiz entwickelt und habe einen hohen Leistungsdruck empfunden. Ich war sehr schnell sehr leicht frustriert, wenn die Dinge nicht so liefen, wie ich es mir vorgenommen hatte.
Ich denke ein Großteil meiner Wesensart wurde stark durch das Verhältnis zu meiner Schwester und Großmutter geprägt. Von meiner Schwester wurde ich physisch und psychisch gequält, ich habe schon früh Selbstzweifel und ein vermindertes Selbstwertgefühl entwickelt. Die ständigen Streitereien zuhause, die Probleme und Ängste, die sie meinen Eltern bereitet hat, haben dazu geführt, dass ich mir eines Tages sagte: „So etwas werde ich niemals meinen Eltern antun, so will ich nicht werden“. Ich habe mir vorgenommen quasi „die perfekte Tochter“ zu werden und alles anders zu machen, als es meine Schwester getan hat. Ich habe mir vorgenommen das Beste aus mir herauszuholen und meine Eltern stolz zu machen. Für mich war klar mein Abitur zu machen und zu studieren (Gegensatz Schwester: Schulabbrecher, kein Bestreben was zu lernen). Ich wollte klug und gebildet sein, da ich Angst hatte so dumm zu sein/zu werden, wie mir in meiner Kindheit eingebläut wurde. Ich wollte in fester Partnerschaft leben und Beständigkeit leben (Gegenteil Schwester: extreme Promiskuität, Abtreibungen und prostitutionsähnliche Lebensweise).
Es war mir immer wichtig gemocht zu werden und ich habe alles dafür getan anderen zu gefallen. Ich denke, dass ich mich auch dadurch überfordert habe und die Definition meines Selbst an die Aussenwelt geknüpft habe. Ich hatte das Gefühl nur gemocht zu werden, wenn ich besonders viel leistete und wollte überragend sein.
Ich denke ich habe mich selbst unter einen extremen Leistungsdruck gestellt, der sich wie ein roter Faden durch mein Leben zog. Ich machte mein Abitur mit gutem Durchschnitt, studierte und machte meinen Masterabschluss mit dem Durchschnitt 1,3. Ich überlegte zu promovieren und begann an meiner Doktorarbeit zu schreiben.
Letztendlich habe ich mich 2020 doch für einen anderen Bildungsweg entschieden und übe heute einen sehr verantwortungsvollen Beruf aus. Auch in diesem Beruf habe ich mir sehr viel Druck auferlegt. In der Berufsschule habe ich durchweg Einsen geschrieben und alle Zeugnisse mit sehr gut abgeschlossen. Ebenfalls war ich während der gesamten Ausbildung Klassensprecherin und im Schülerrat, habe mich stets um alle Angelegenheiten meiner Mitschüler gekümmert. Ja, es war viel Verantwortung, brachte mir aber Spaß.
Auf der Arbeit habe ich immer gerne Schichten anderer Kollegen übernommen und irre viele Überstunden generiert. Die Arbeit war stressig und hat mich stark beansprucht, der Schichtdienst obendrauf hat sein weiteres dazu beigetragen.
Hinzu kam die emotionale Belastung meines Berufes. Ich habe viel mit Tod und Leid zu tun und musste einen Weg finden damit umgehen zu lernen und nicht alles ständig nach hause zu nehmen. Das fiel mir zu Beginn noch sehr schwer. Auch hier wollte ich wieder die Beste sein und mein Maximum erreichen.
Durch Corona gab es viele personelle Ausfälle und somit arbeitete ich noch mehr. Corona führte bei mir auch zur Vereinsamung und Ängsten. Ich machte mir Sorgen um meine Eltern und vermisste sie. Solange ich mich erinnern kann habe ich große Angst um meine Eltern gehabt. In dieser Zeit träumte ich ständig ihnen würde etwas passieren, oder sie würden sterben. Meine Schwester sagte mir als Kind, dass unsere Eltern älter seien als andere Eltern und bald sterben würden. Diese Angst begleitet mich seither. Corona hat diese Ängste ins Unerträgliche gerückt.
Wenn ich heute rekapituliere, merke ich, dass mein Alkoholkonsum ein schleichender Prozess war. Ich fing an zu trinken, weil es vermeintlich meinen Stress, Sorgen und Ängste minderte und mich entspannen ließ. Zum anderen wollte ich mich nach der stressigen Arbeit für meine Erfolge belohnen und habe den Alkohol ebenfalls zu diesem Zwecke missbraucht. Daraus hat sich leider eine Regelmäßigkeit entwickelt und emotional zog ich mich immer mehr zurück. Mein Hang zum Perfektionismus und die Tatsache, dass ich keine Schwäche zeigen wollte, haben dazu geführt, dass ich mich eigentlich nie jemanden anvertraut und über meine Gefühle geredet habe. Ich wollte zum einen niemanden belasten und zum anderen möglichst stark und perfekt sein.
Hinzu paarte sich ein Gefühl irgendwie ausbrechen zu wollen. Ich wollte weg vom Stress und einfach nur Spaß haben. Ich hatte nie wirklich Freunde und kam durch meinen Umzug in Kontakt mit neuen Leuten. Zu diesen habe ich mich hingezogen gefühlt und wollte mit ihnen Zeit verbringen. Endlich hatte ich so etwas wie eine Clique, Leute die mich akzeptierten und mich lustig fanden, meine Gesellschaft schätzten. Leider alles nur mit Alkohol. In dieser Runde machte mich der Alkohol Selbstbewusst und redselig, ich kam aus mir raus und konnte endlich mal allen Stress abschütteln. Ich redete mir ein nur gemocht werden zu können, wenn ich locker und lustig sei. Ich wollte diesen Leuten gefallen und der Alkohol schien mir dabei nützlich zu sein.
Rückblickend habe ich erkannt, dass es sich bei diesen Menschen nicht um Freunde gehandelt hat, sondern es Trinkbekanntschaften waren. Ich habe die Gesellschaft dieser Gruppe genutzt, um meinen starken Konsum aktiv auszuleben. In den letzten zwei Jahren vor der TF habe ich mir eine Trinkfestigkeit antrainiert, die sich dadurch auszeichnete, dass ich keine Gelegenheit zum Trinken ausließ und keinerlei Maß mehr kannte. Schneller und starker Konsum wurde von mir trainiert, um eine gewisse Wirkung zu erlangen. Es fiel mir schwer, an solchen Abenden mit dem Trinken aufzuhören.
Ich denke bei mir hat eine Kombination aus extremer Überarbeitung und Leistungsdruck, soziale Defizite und das Unvermögen mit meinen Gefühlen adäquat umzugehen und mich zu öffnen zu meinem Alkoholmissbrauch geführt. Es war damals der leichteste Weg meine Probleme wegzuschieben oder zu übertünchen.
13. Welche Wirkung haben Sie in der Vergangenheit nach Alkoholgenuss bei sich beobachtet?
(bei wenig und bei viel Alkohol)
Bei wenig Alkohol wurde ich gesprächiger, selbstbewusster und offen. Ich war kontaktfreudig und vergnügt. Mein Stresslevel sank und ich machte mir weniger Sorgen.
Bei viel Alkohol wurde ich traurig und es kamen viele Gefühle hoch. Ich habe mich auch körperlich schlecht gefühlt und habe mich geschämt.
14. Gab es kritische Hinweise Anderer auf Ihren Alkoholkonsum und wie haben Sie darauf reagiert?
Mein Partner hat mich im Jahr 2021 darauf angesprochen, dass ich manchmal kein Maß kenne. Es hat mich traurig und wütend gemacht, ich habe seine Anmerkung aber ignoriert. Ich habe mich kritisiert gefühlt und konnte damit nicht umgehen.
Als ich mit dem Alkoholkonsum aufhörte und meinen Eltern mitteilte, dass ich ab jetzt keinen Alkohol mehr trinke, waren sie sehr stolz auf mich und meinten, sie hätten teilweise schon das Gefühl gehabt, ich tränke zu viel mit meinen neuen Freunden.
15. Welche Auswirkungen und Folgen hatte Ihr Alkoholkonsum auf Ihr Leben und Ihr Umfeld?
Ich wurde durch den Alkohol Vergnügungssüchtig. Ich wollte immer mehr raus und unter Leuten Spaß haben. Ich war gierig nach dem durch Alkohol gewonnenen Selbstbewusstsein und wollte mich immer wieder so fühlen. Es hat dazu geführt, dass ich immer unter Leute wollte und mir keine Zeit mehr für mich selbst und meine Partnerschaft eingeräumt habe. Ich habe meine Partnerschaft stark gefährdet, da ich in dem Zustand mit einem der Freunde rumgemacht habe und das natürlich rauskam. Dadurch stand meine jahrelange Beziehung auf der Kippe. Ich war kurz davor meinen Partner zu verlieren und paradoxerweise habe ich hier nicht die Reissleine gezogen, sondern weiter gemacht. Ich war so im Wahn nach Spaß und Kurzlebigkeit, dass ich sogar diese Gefahr eingegangen bin, einfach nur um im Moment zu leben. Mein ganzes Leben lang war ich fleißig, kontrolliert, strebsam und perfektionistisch. Das Ausbrechen hat mir ein Gefühl der Freiheit gegeben. Alles andere ausser meiner Lust auf Spaß und Selbstbewusstsein wurde mir immer allmählicher egal.
Meinen Beruf auszuüben war bisweilen auch schwieriger, da ich mich körperlich und seelisch schwach gefühlt habe. Es kam leider auch vor, dass ich bei der Arbeit verkatert war und mich durch den Tag gequält habe. Ich war sehr schockiert darüber, dass mir so etwas passieren konnte, da ich einen sehr verantwortungsvollen Beruf ausübe und dies sehr gefährlich werden kann.
Rückblickend habe ich zu dem Zeitpunkt schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt, diese Warnungen habe ich aber leider ignoriert.
16. Gab es in Ihrem bisherigen Leben frühere Zeiten, in denen sie weit mehr Alkohol als heute getrunken haben? Wenn ja, nennen sie bitte die Lebensabschnitte und mögliche Ursachen und Umstände dafür.
Ich habe noch nie so viel getrunken wie zwischen 32 und 34 Jahren.
17. Haben sie jemals die Kontrolle über ihre Trinkmenge verloren und bis zur Volltrunkenheit Alkohol konsumiert?
Ja.
18. Haben Sie früher schon einmal oder öfter über einen längeren Zeitraum bewusst und mit Absicht völlig auf den Genuss von Alkohol verzichtet?
Nach meinem Studium habe ich zwischen 27 und 32 Jahren nur wenig und selten getrunken.
19. In welcher Kategorie eines Alkohol trinkenden Menschen haben Sie sich früher gesehen und wie stufen Sie sich heute rückblickend ein?
(mit Begründung)
Früher habe ich mich als Gelegenheitstrinker und Genusstrinker gesehen, der nur bei bestimmten Anlässen Alkohol konsumierte.
In der Zeit in der ich mit den „Freunden“ verkehrte, habe ich mich als typischen „Party-Trinker“ gesehen. Dafür gehörte für mich, ein bestimmtes Level zu erreichen, um Spaß zu haben und nicht um den Genuss.
Heute sehe ich mich als jemand, der starken Alkoholmissbrauch zwischen den Jahren 2020 und 2021 betrieben hat und ganz klar wegen der Wirkung konsumieren wollte. Ich sehe mich als eine Mischung aus Alpha (Konflikt-Trinker) durch undiszipliniertes Trinkverhalten und Beta (Gelegenheits-Trinker) aufgrund einer gewissen sozio-kulturelle Abhängigkeit [Jellinek].