• Hallo, das Forum wurde auf einen neuen Server umgezogen. Wir bitten alle Forenbenutzer, sofern Fehler auftauchen, Ihren Browsercache einmal zu leeren. Danke!

Die Grauzone zwischen 1.1 und 1.6 Promille

joost

MPU Profi
Weil es immer wieder Thema wird und Anfragen regelmäßig mit Debatten füllt, möchte ich dem Thema einen eigenen Klärungsthread widmen:
Was passiert in der Grauzone (?) zwischen 1.1 und 1.6 Promille?

Unstrittig ist, dass Wiederholungstäter MPU-fällig sind, ebenso Verkehrsteilnehmer ab 1.6 Promille. Reden wir also nur von Ersttätern (auch: aktenkundige Ersttäter, die also schon einen Vorfall hatten, der aber in den Akten nicht mehr auftaucht, weil zu lange her). Manche bekommen eine Aufforderung zur MPU, andere (die wohl meisten) nicht. Ist es wirklich "reine Ermessenssache" der Führerscheinstelle? Welche Vorschriften geben ihnen den Rahmen zur Entscheidung? Wo wird es schwammig?

@MrMurphy dazu:
Als vor 5, 6, 7 Jahren erstmals Radfahrer mit unter 1,6 Promille zur MPU aufgefordert wurden kam das auch häufiger bei PkW vor. Die Praxis wurde von den Gerichten allerdings relativ schnell wieder beendet. Der feste Wert von 1,6 Promille im Gesetz ist von den Behörden zu berücksichtigen und zu akzeptieren. Ausnahmen sind zwar möglich, aber sachlich zu begründen. Grundsätzlich akzeptiert sind Wiederholungstäter oder Rückrechnungen. Oder bei einspurigen Fahrzeugen das Halten des Gleichgewichts.

Bei einspurigen Fahrzeugen erscheint das unstrittig: wer mit über 1.1 Promille so ein Fahrzeug noch führen kann, muss sich stark erhöhte Giftfestigkeit antrainiert haben, das rechtfertigt eine Missbrauchsvermutung für die Behörde und damit eine MPU-Forderung. Wie sieht es nun aber mit KFZ aus, bei denen keinerlei Gleichgewichtsfähigkeit nötig ist? Werden hier Ausfallerscheinungen für die Entscheidung berücksichtigt? Spielen die überhaupt eine Rolle? Gibt es zuverlässige Kriterien, die eine MPU-Anordnung wahrscheinlich machen?

In der Tat liest man immer wieder, dass hier keine MPU angeordnet wird, diesbezügliche Fälle tauchen auch nur wenig auf in Foren. Und es gibt sie doch. Ich habe auf die Schnelle mal Foren durchgeschaut (soweit das aus den Themen ersichtlich war), bei uns konnte ich die letzten Beitragsseiten nichts finden, im Verkehrsportal bin ich jedoch fündig geworden:
www.verkehrsportal.de/board/index.php?showtopic=135197 (2024)
www.verkehrsportal.de/board/index.php?showtopic=135160 (2023)

Ich fände es toll, wenn wir das hier mal in aller Ruhe klären könnten: gibt es Rechtssicherheit? Oder gibt es einen "Ermessensspielraum der Behörde"? Ist die Grauzone vllt gar keine?
Ich bin neugierig :)
 
Ersttäter.
Es sind Fälle bekannt, in denen Personen mit 1,58 % nicht zur MPU mussten, und es gibt dokumentierte Fälle von Personen mit 1,15 %, die zur MPU mussten.
Der Sachbearbeiter hat das Recht, die Entscheidung zu treffen.
Wenn du nicht weißt, worum es geht, geht es höchstwahrscheinlich um das Geld, das du dalässt.
Man kann ein Diagramm über die Ausfallerscheinungen erstellen, aber schau dir an, dass zwischen den beiden Beispielen 0,43 % liegen – ein sehr wesentlicher Unterschied, wenn es um klare Anzeichen von Fahruntüchtigkeit geht.
Wo ist da der Sinn?
Man muss klar sagen: Die MPU sollte erst ab einem Wert von mindestens 1,6 % verpflichtend sein.
Das Straßenverkehrsamt ist kein Gericht, das die Macht hat, so stark in das Leben der Bürger einzugreifen.
Entweder man wendet das Gesetz an, oder man stellt sein eigenes Recht über das bestehende Gesetz.
Das Straßenverkehrsamt ist dafür da, Dokumente auszustellen, und nicht, den Bürgern das Leben unnötig schwer zu machen.
 
Folgt man dieser Denkweise, gefährdet auch das Fahren mit dem E-Scooter oder Fahrrad die Sicherheit, und selbst eine Person, die aus einem Club auf den Gehweg tritt, stellt eine Gefahr dar.
Findest du nicht, dass die Polizei dann vor solchen Clubs stehen und überprüfen sollte, wer zur MPU muss und wer nicht?
Über 1,1 Promille und keine Ausfallerscheinungen – nach dieser Logik müsste es genau so sein.
 
Ich finde das Ganze einfach widersinnig. Ein Radfahrer, der unauffällig sein Fahrrad bedient und bei einer allgemeinen Kontrolle mit 1,57‰ auffällig wird, kann nicht belangt werden, weil er ja bis 1,6‰ Fahrrad fahren darf. Er hat keine Straftat begangen. Und wer mit 1,3‰ vom Fahrrad fällt, auf den kommt eine MPU zu, obgleich der erstere klar bewiesen hat, dass er deutlich trinkfester ist als der zweite. Das macht für mich keinen Sinn.
Leider ist es unstrittig, dass es offensichtlich keine klare Norm gibt. MPU mit Autos unter 1,6‰ sind selten (obgleich das Schadensbild bei einem Unfall ungleich höher aussehen KANN als beim Fahrrad), aber es gibt sie. Nicht so oft bei uns im Forum, aber wie gesagt, ich kenn einen Fall persönlich und @Norbert K habe ich ja auch schon verlinkt. So ein bisschen hat es etwas willkürliches. Wenn jemand mit 0,25‰ Schlangenlinien fährt, weil er absolut alkoholunverträglich ist, kann man dieser Person ja auch nicht habhaft werden. Dafür gibt es gesetzliche Grenzwerte. Diese sind klar definiert und sollten in meinen Augen eingehalten werden, entsprechend geändert, wenn es jetzt anders gesehen wird als früher.
 
Oder gibt es einen "Ermessensspielraum der Behörde"?

Nein, den gibt es nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinn wie es regelmäßig behauptet wird, deshalb meine Formulierung.

Heißt bei der 1,6-Promille-Grenze: Eine MPU unter 1,6 Promille darf nur gefordert werden wenn besondere Tatsachen (TATSACHEN) vorliegen, die dann auch nachprüfbar sind.

Deshalb ist es unsinnig zu behaupten die Führerscheinstellen würden nach Lust und Laune entscheiden. Nur wenn die jeweilige Einzelfallbegründung bekannt ist kann beurteilt werden, ob die Führerscheinstellen korrekt entschieden haben.

Wobei klar ist das es immer wieder zu Streitfällen kommt, die dann die Gerichte klären (müssen).

Dabei fällt schonmal auf, das entgegen vieler Behauptungen nur schwer Fälle zu finden sind, bei denen bei mehrspurigen Fahrzeugen (um die geht es mir) überhaupt unter 1,6 Promille eine MPU gefordert wurde. Die Fälle, auch hier im Forum, bei denen zunächst auf Grund der Angstmacherei eine MPU befürchtet wurde, die dann aber nicht gefordert wurde, in der deutlichen Mehrzahl sind.

Mich persönlich stören dabei auch Behauptungen wie "Im Nachbarforum finde ich solche Fälle", wobei es sich dann wohl doch nur um zwei aus den vergangenen Jahren handelt.

Bei beiden wird zudem nicht darauf eingegangen, warum die Führerscheinstelle überhaupt eine MPU fordert. Mit einer Tatsachenbegründung sind Ausnahmen zulässig.

Wobei beim ersten Fall aus dem Zusammenhang deutlich wird, das eine Diabetes 1-Erkrankung seit über 15 Jahren vorliegt. Die erhöht schon von sich aus die Gefahren beim Autofahren. Deshalb sind bereits von der Erkrankung her viele Möglichkeiten eingeschränkt.

Mäßiges Alkoholtrinken wurde zwar bis vor kurzer Zeit als unkritisch angesehen, mit Rauschtrinken sieht das aber anders aus. An einer Stelle schreibt der Betroffene zu dem ersten Gutachten, ihm würde Alkoholmißbrauch vorgeworfen, obwohl er das nicht gesagt hätte. Deshalb sei der Abstinenzzeitraum als zu kurz erachtet worden. Das es bei dem Mißbrauch offensichtlich um das übermäßige Trinken bei Diabetes geht hat er nicht verstanden.
 
Wo ist da der Sinn?
Man muss klar sagen: Die MPU sollte erst ab einem Wert von mindestens 1,6 % verpflichtend sein.
Nein, wir wollen doch hier sach-, fachgereucht und vor allem am geltenden Recht orientiert diskutieren.
Das Bundesverwaltungsgericht hat 2021 entschieden, dass eine MPU ab 1,1 ‰ angeordnet werden kann, wenn „Zusatztatsachen“ vorliegen, die einen „Verdacht auf Alkoholmissbrauch“ rechtfertigen ( hatte @joost auch verlinkt ).
Ich finde das aus fachlicher Sicht richtig und vor allem gerechtfertigt im Wortsinne.

Es geht in 1. Linie darum, den öffentlichen StV im Sinne der -auch präventiven- Gefahrenabwehr zu schützen vor Menschen, die ein wie auch immer geartetes Alkoholproblem haben.

Es ist nunmal ein fundamentaler Unterschied, ob jemand an einem Samstagabend um 23.30 Uhr mit 1,2 Umdrehungen erwischt wird oder an einem Montagmorgen mit 1,2 Restalkohol auf dem Kessel.

Ebenso ein -aus fachlicher Sicht- grundlegender Unterschied, ob jemand mit 1,3 ‰ „normal“ spricht, sich bewegt etc. oder „komplett neben der Spur läuft“.

Das Straßenverkehrsamt ist kein Gericht, das die Macht hat, so stark in das Leben der Bürger einzugreifen.
Entweder man wendet das Gesetz an, oder man stellt sein eigenes Recht über das bestehende Gesetz.
Das Straßenverkehrsamt ist dafür da, Dokumente auszustellen, und nicht, den Bürgern das Leben unnötig schwer zu machen.

Das zum Beispiel ist doch schlicht Quatsch und für mich nur „Stammtischgeblubber“, sorry.

Gerade weil die FEB sich an geltendes Recht halten muss ( s.o. ), muss sie das prüfen.
Und ob der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ( BE, fäG, MPU ) im Zweifel vor dem Allgemeinwohl zurückzustehen hat, wurde schon vor langer Zeit höchstrichterlich entschieden und mit einem glasklaren „Ja“ beantwortet.

Wir wollen doch auch bitte nicht vergessen, dass -abgesehen von der BE- niemand verpflichtet ist oder gar dazu gezwungen werden kann.
In anderen Ländern wird das ganz anders gehandhabt, Gefängnis, immens hohe Geldstrafen und sehr lange Sperren.
Hier hat zumindest jeder die Chance, von sich aus zu „beweisen“, dass er quasi vorher wieder geeignet ist.

Das Problem in dieser „Grauzone“ liegt imho nicht bei der FEB, die schlicht „nach Aktenlage“ entscheidet, sondern daran, wer wann wie welche Ausfallerscheinungen feststellt oder eben deren Ausbleiben.
Nehmen wir doch mal die Dunkelblauen.
Deren Bericht kann durchaus diesbezüglich Gewicht haben.
Nur, es ist nicht ansatzweise deren Job zu wissen, festzustellen etc., ob jemand -im medizinisch-psychologischen Sinne- Ausfallerscheinungen zeigt.

Oder der Mediziner, der Blut abnimmt und -je nach Kooperationswillen des Betroffenen- Tests durchführt.
Aus rein medizinischer Sicht kann er das sicher beurteilen, aber im Sinne, ob derjenige nun ein evtl. fahreignungsrelevantes Alkoholproblem hat, kann er idR nicht beurteilen. Muss er auch nicht. Ist nicht sein Job. Kreuzchen setzen, fertig.

Hinzu kommt der Aspekt, dass die Mehrheit in so einer Ausnahmesituation sich „extrem zusammenreißen“ und versuchen, alles brav und möglichst fehlerlos hinter sich zu bringen.

Nun gibt es sicherlich Menschen, die das beurteilen könnten, z.B. Psychologen, die aber auch mit dem Thema „MPU“ vertraut sein müssen.
Aber werden diese zu jeder BE gerufen werden ?
Wollen die das ?
Ist das bezahlbar ?
Unrealistisch !

Ich würde mir also Schulungen wünschen für „Verkehrspolizisten“ und Ärzte über fahreignungsrelevante Ausfallerscheinungen, um noch mehr Rechtssicherheit zu schaffen im Sinne der FEB, die die Entscheidung treffen muss, und für den betroffenen Bürger.

Das Thema „MPU“ ist so komplex, weil so viele Fachbereiche zusammenkommen, dass das imho eine mach- und finanzierbare Möglichkeit wäre…

Zum Schluss ein aktueller und realer Fall, den ich hier mal für Interessierte schildere:

Jemand fährt mit 1,3 ‰ um 22.00 Uhr an einem Dienstag von der Arbeit nach Hause.
Sein Weg führt über eine gut ausgebaute Landstraße durch einen Wald.
Bevor der Betroffene eine bestimmte Stelle passiert, hat sich dort ein relativ unbedeutender Unfall ereignet, welcher dazu führt, dass auf dem rechten Standstreifen ein PKW mit Warnblinker und -von dem Betroffenen aus davor- ein „Bunter“ mit eingeschaltetem Warnblinker und eingeschaltetem Blaulicht.
Beide Fahrzeuge stehen ca. 1m auch auf der rechten Fahrbahn.

Der Betroffene fährt mit regelgerechter Geschwindigkeit ( 100km/h ) fast ungebremst beide Fahrzeuge zu Klump.
Eher glücklich als den Umständen geschuldet kein nennenswerter Personenschaden

Hat die betroffene FEB bei WE eine MPU gefordert oder nicht ?
Ausfallerscheinungen oder nicht ?

@joost, danke für das Thema :smiley138:
 
wenn besondere Tatsachen (TATSACHEN) vorliegen, die dann auch nachprüfbar sind.
könnten wir da bisschen sammeln?
Gern auch aufgrund der bekannten Fälle... und vllt auch auf das Kriterium der Spurbreite achtend..

Alkohol und Diabetes als "besondere Tatsache" erscheint mir logisch.
Was könnten wir noch herausarbeiten?
 
Erst mal werden die Tatsachen der Führerscheinstelle von außen (also durch Dritte) zugetragen. Das sind also zusätzliche Informationen, die die Führerscheinstelle zu dem Promillewert erhält. Die Tatsachen können sich die Mitarbeiter der Führerscheinstelle also nicht ausdenken, auch wenn das gerne suggeriert wird.

Meine Informationen beziehen sich auf Alkohol, nicht auf andere Drogen:

a) Wiederholungstäter (geht aus den Akten hervor, mehrere Verurteilungen innerhalb relativ kurzer Zeit)

b) Rückrechnung (geht aus den Akten hervor, meist zusätzlich durch ein Urteil)

c) Keine Ausfallerscheinungen (also komplett fehlend, geht aus den Akten hervor, meist Polizei und / oder Arzt, steht häufig auch in Urteilen)

d) Bekannte Erkrankungen, die bei stärkerer Alkoholzunahme zur Selbstschädigung führen oder sogar zu schlagartigem Bewußtseinsverlust führen können, zum Beispiel Diabetes [Diabetesschock] (geht aus den Akten hervor, zum Beispiel Arztbericht)

e) Bei einspurigen Fahrzeugen der noch vorhandene Gleichgewichtssinn um so ein Fahrzeug zu führen (geht aus den Akten hervor, Polizeibeobachtung)

Das sind die zulässigen Begründungen, die mir aktuell einfallen.
 
Zuletzt bearbeitet:
bei denen bei mehrspurigen Fahrzeugen (um die geht es mir) überhaupt unter 1,6 Promille eine MPU gefordert wurde.
Da ist noch eine, aus Mitte 2025 ->
KFZ, keinerlei Vorgeschichte, MPU-Anordnung bei 1,45pm, amtlich:

1758197171688.png


Und die Legitimation:
1758197233005.png


So. Das ist die gelebte Realität da draussen.
Und nun? Kann er die MPU-Forderung anfechten? Rechtssicher? Welche Argumentation würdest Du vorschlagen?
 
Genau das was ich geschrieben habe: Keine Ausfallerscheinungen, die Tatsachen kommen von außen, Arzt.

Und nochmal der Hinweis: Ausnahmen und Streitfälle werden sich immer finden, die widerlegen aber nicht den Regelfall, nach dem die Führerscheinstellen grundsätzlich handeln.
 
Zuletzt bearbeitet:
Okay, halten wir fest: eine MPU ist auch für erstauffällige mehrspurige Fahrzeugbenutzer jederzeit ab 1.1pm möglich, wenn z.B. im sogenannten Torkelbogen bei der Blutabnahme keine Auffälligkeiten festgestellt werden.

Ja?
Ok.

Was ich jetzt spannend finde: wie sieht es aus, wenn im Polizeibericht widersprüchliches steht, z.b. dass der Fahrer durch Schlangenlinien auffiel?
 
Zuletzt bearbeitet:
Dann darf sie nicht. Das steht auch im verlinkten Urteil. Es müssen Tatsachen vorliegen. Einige habe ich bereits aufgezählt, wobei es noch andere geben mag.
 
Zurück
Oben