1. Beschreiben Sie den Tag Ihrer Trunkenheitsfahrt aus eigener Sicht mit Datum und Uhrzeiten.
(Wann, wo und mit wem getrunken / wann und wie aufgefallen / Promille)
Der Tag meiner Trunkenheitsfahrt war Samstag, der 19. Februar 2022. Ich hatte am Tag zuvor (Freitag) beim Einkaufen eine ehemalige Kollegin getroffen, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Wir haben uns lange unterhalten und sie lud mich und meinen Freund am nächsten Tag zum Brunch anlässlich ihres Geburtstages ein. Mein Freund war aber an diesem Wochenende Ski fahren und ich ging allein zum Brunch. Sie hatte auch noch zwei andere Kollegen von damals eingeladen und ich freute mich sehr darauf, alle mal wieder zu sehen.
Ich traf pünktlich um 11 Uhr ein und als alle Gäste da waren (insgesamt ca. 15 Personen), stießen wir erstmal mit einem Glas Sekt (200 ml) auf das Geburtstagskind an. Während des Essens trank ich noch 1 weiteres Glas Sekt. Da ich von zu viel Sekt Sodbrennen kriege, bin ich danach auf Wein (Rosè) umgestiegen. Im Laufe des frühen Nachmittags verabschiedeten sich die meisten Gäste und ab ca. 14 Uhr waren nur noch meine Ex-Kollegin, ihr Mann, die beiden anderen Kollegen und ich da. Wir redeten über damals und heute und tranken dabei weiterhin Wein.
Gegen 16:30 Uhr waren wir alle ziemlich betrunken und beendeten die Feier. Da meine ehemaligen Kollegen in einer komplett anderen Richtung wohnen, als ich, konnten wir kein gemeinsames Taxi nehmen. Dummerweise hatte ich mein Geld in meinem Rucksack im Auto vergessen, welches ein paar Straßen weiter stand. Also verabschiedete ich mich und ging zu meinem Auto um mein Geld zu holen. Auf dem Weg dorthin rief ich bei einem Taxi-Unternehmen an. Mir wurde gesagt es sei möglich, mich zu fahren, allerdings erst in 40 Minuten. Also bedankte ich mich und sagte, ich würde es erst nochmal wo anders versuchen. Da war ich dann auch schon an meinem Auto. Und als ich drin saß hab ich die dämliche Entscheidung getroffen, „die paar Kilometer“ doch noch selbst zu fahren. Der Heimweg betrug ungefähr 10 km. Ich fuhr also auf die Autobahn, 2 Ausfahrten später wieder runter und in der nächsten Ortschaft wurde ich von der Polizei gestoppt (17:15 Uhr). Ein Zeuge hatte mich wohl gemeldet, weil ihm meine Schlangenlinien aufgefallen sind. AAK 1,8 ‰. Ich wurde mit auf die Wache genommen und die BAK ergab 1,6 ‰ (18:30 Uhr).
2. Was und wie viel haben Sie am Tattag insgesamt getrunken?
(Genaue Angaben in Sorte, Menge, Trinkzeit)
400 ml Sekt und ca. 1,5 l Wein zwischen 11 Uhr und 16:30 Uhr
Hab ich mir mit der Widmark Formel ausgerechnet….
3. Wie viel Kilometer fuhren Sie, bis Sie aufgefallen sind und wie viel Kilometer wollten Sie insgesamt fahren?
Ich wollte ca. 10 km fahren, nach etwa 7 km wurde ich angehalten.
4. Hatten Sie das Gefühl, noch sicher fahren zu können?
(Ja/Nein + Begründung)
Als ich zu meinem Auto gelaufen bin war mein Gangbild ein bisschen wacklig und unsicher. Dennoch bin ich eingestiegen und losgefahren. Die 7 km Autobahn kamen mir normal vor, was aber wohl Selbstüberschätzung und eine absolut falsche Wahrnehmung war, denn ich bin ja in Schlangenlinien gefahren.
5. Wie haben Sie die Trunkenheitsfahrt vermeiden wollen (wenn überhaupt)?
Ursprünglich hatte ich nicht geplant, soviel zu trinken. Als der Nachmittag dann seinen Lauf nahm, wollte ich eigentlich das Auto stehen lassen und mit dem Taxi nach Hause fahren.
6. Haben Sie bereits früher im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss gestanden und sind aufgefallen?
Ja, im August 2017 bin ich bereits unter Cannabiseinfluss und mit 0,86 ‰ aufgefallen.
7. Wie oft haben Sie alkoholisiert am Straßenverkehr teilgenommen ohne aufzufallen und was folgern Sie daraus?
Wenn ich alle Fahrten, mit Restalkohol, mit unter 0,5 ‰ und oberhalb der erlaubten Promillegrenze zusammen zähle, komme ich auf bestimmt 800 Fahrten. Mit einem so hohen Pegel wie am Tattag vielleicht 5-6 mal.
Daraus folgere ich, daß ich die Wirkung des Alkohols und auch die geltenden Regeln nicht ausreichend ernst genommen habe. Es zeigt mir auch, daß ich mich und meine Fahrkünste überschätzt habe, indem ich dachte „kein Problem, ich kann noch fahren!“. Auch folgere ich daraus, daß ich nicht in der Lage bin, Trinken und Fahren ausreichend voneinander zu trennen.
8. Wann hatten Sie den ersten Kontakt mit Alkohol und wann haben Sie das erste Mal Alkohol zu sich genommen?
(Allererste Erinnerung und erster Konsum)
Meine erste Erinnerung an Alkohol reicht sehr weit zurück, denn wir hatten früher einen Nachbarn, der schwer alkoholabhängig war und schon mittags durch den Garten getorkelt ist und uns als Kinder vollgequatscht oder angepöbelt hat. Unsere Eltern haben uns dann aufgeklärt, was mit ihm los sei und wollten, daß wir uns von ihm fernhalten. Da war ich 8 oder 9 Jahre alt, also 1989/90.
Zum ersten Mal selbst Alkohol getrunken habe ich mit 14 Jahren (ca. 1996) im Rahmen der Konfirmation. In der Kirche hat jeder Konfirmand einen Schluck Wein bekommen und am Abend fand der sogenannte Rundgang statt. Dabei kehrt die gesamte Gruppe nacheinander bei jedem Konfirmanden zu Hause ein und nimmt ein Getränk zu sich. Total verrückt, wenn man mal drüber nachdenkt... Im Gegensatz zu manch anderem habe ich diesen Abend gut überstanden.
9. Haben Sie regelmäßig Alkohol getrunken, und wie hat sich ihr Trinkverhalten in den letzten Jahren entwickelt?
Ich hatte viele Phasen in meinem Leben, in denen Alkohol eine Rolle gespielt hat. Es gab aber auch immer wieder Abschnitte, in denen ich sehr wenig oder gar nichts getrunken habe. Ich habe, mit sehr wenigen Ausnahmen immer nur am Wochenende getrunken, nie alleine und purer Schnaps hat bei mir schon immer einen Würgereiz verursacht, weshalb ich keinen getrunken habe. Den meisten Alkohol habe ich in den Jahren von 18-20 (1999-2001) und von 23-26 (2005-2007) zu mir genommen. Von 20-23 war es sehr wenig.
Von 26-34 (2007-15) wurden die Trinkanlässe zwar weniger, die Menge ist aber konstant geblieben. Damals habe ich ganztags in einem anstrengenden Beruf (Physiotherapie) gearbeitet und war abends und am Wochenende oft froh, einfach auf dem Sofa liegen zu können und mich zu entspannen. Ab 2015, als ich mit meinem damaligen Freund zusammen kam, wurden die Trinkanlässe und auch die Trinkmenge wieder mehr.
Seit meiner Trunkenheitsfahrt 2017 habe ich 4 Jahre abstinent gelebt. Als ich dann im Juni 2021 wieder angefangen habe Alkohol zu trinken, haben sich die Menge und die Trinkanlässe wieder ziemlich schnell gesteigert.
10. Wie viel und wie oft haben Sie getrunken?
(Genaue Angaben in Sorte, Menge, Häufigkeit)
Nach der Konfirmation bis zum Erreichen der Volljährigkeit war es noch eher selten. Vielleicht alle 8-10 Wochen mal 2-3 Bier oder gespritzten Apfelwein (0,33l). Meine Mutter war immer sehr wachsam, was Alkohol anging und da ich auf dem Land lebe und sie mich damals abends abgeholt hat, hielt sich der Konsum zu dieser Zeit noch sehr in Grenzen.
Als ich dann volljährig war und dachte ich sei erwachsen und frei, hat der Konsum von Alkohol erst mal zugenommen. Ich hab mich um die Häuser getrieben, war am Wochenende selten zu Hause und habe zu dieser Zeit etwa 4-6 mal im Monat ca. 2l Bier, eine Flasche Apfelwein oder eine halbe bis ganze Flasche Wein getrunken.
Von 20- 23 Jahren hatte ich meinen ersten richtigen Freund. Da sein Vater Alkoholiker war und er in seiner Kindheit sehr negative Erfahrungen mit Alkohol gemacht hat, hat er gar nichts getrunken und ich somit auch nicht. Nicht wenn er dabei war. Da er fast immer dabei war, beschränkte sich mein Konsum zu dieser Zeit auf einen Anlass in ca. 3 Monaten mit ähnlichen Mengen wie zuvor. Im Frühjahr 2005 hat er sich von mir getrennt. Daraufhin hat sich mein Trinkverhalten erst mal radikal verändert, ich trank fast jedes Wochenende Alkohol, meistens freitags und samstags jeweils 1-2 Bier (0,33l) und ca. 1l Apfelwein oder 4-5 Gläser Wein (0,2l) oder Sekt. Das ging etwa 2 Jahre lang so. Zu dieser Zeit war ich in meiner Ausbildung, wohnte im Wohnheim und habe viel Zeit mit meinen Mitschülern und auf Partys verbracht. Es kam auch einige Male vor, daß wir zu dritt in einer Wohnung im Wohnheim den Abend verbracht haben und mit 3 Personen 6-7 Flaschen Wein getrunken haben.
Nach dem Examen von 2007 bis 2014 hat sich das Trinken dann auf 1-2 Anlässe im Monat eingependelt, die Menge ist in etwa gleich geblieben, vor allem Bier und Apfelwein, hin und wieder auch Wein. Zu dieser Zeit habe ich viel gearbeitet und war abends und am Wochenende meistens zu müde und kaputt, um noch auf die Piste zu gehen.
Von 2015 bis 2017 war ich mit einem alkoholtrinkenden Kiffer zusammen und der Konsum wurde exzessiver. Da waren es 6-8 mal im Monat 2-3 Bier (0,33l) plus 3-4 Gläser Wein (0,2l). Ab 2016 kamen auch noch Longdrinks dazu. Also 2-3 Bier und 2-3 Longdrinks a 300 ml zu einem Trinkanlass. Meistens Gin Tonic.
Nach meiner Trinkpause von 2017 bis 2021 hat sich der Konsum innerhalb von 8 Monaten auf letzten Endes 400 ml Sekt und 1,5l Wein gesteigert. Zu dieser Zeit habe ich etwa alle 2 Wochen an einem Tag des Wochenendes Alkohol getrunken, allerdings nicht immer so viel. Diese Menge hab ich in besagten 8 Monaten maximal 3 mal erreicht.
Das sind jetzt aber alles durchschnittliche Angaben. Es kam auch vor, daß ich nach 2 Bier oder 2 Gläsern Wein genug hatte und nach Hause gegangen bin.
11. Wo und mit wem haben Sie überwiegend getrunken?
Ich habe überwiegend mit meinen jeweiligen Freunden und Bekannten getrunken. Manchmal habe ich auch im Kreise der Familie zu Weihnachten, Ostern oder an Geburtstagen 2–3 Gläser Wein getrunken.
In jüngeren Jahren haben wir uns bei einem aus der Clique zu Hause getroffen und da getrunken. Meistens, wenn die jeweiligen Erziehungsberechtigten nicht da waren.
Als ich dann volljährig war, sind wir oft in Bars und Kneipen gegangen, um dort etwas zu trinken. Später dann, in den Jahren von 23 bis 26 während meiner Ausbildung, fand der Konsum vor allem im Wohnheim und auf Partys statt.
Auch nach der Ausbildung trank ich entweder mit oder bei Bekannten und hin und wieder auch mal in der Kneipe.
In ganz seltenen Fällen habe ich mal im Sommer nach Feierabend mit meinem Freund ein kaltes Bier auf unserem Balkon getrunken.
12. Warum haben Sie getrunken?
(Innere + äußere Motive)
Ich bin in einem idyllischen Dorf auf dem Land aufgewachsen, in einem verhältnismässig stabilen Umfeld, ohne Alkohol, Drogen, finanzielle Sorgen, Gewalt oder sonstige negative Einflüsse. Ich hatte eine Astrid-Lindgren-mäßige Bilderbuchkindheit und wurde besonders von meiner Mutter vor allem Bösen behütet.
Das änderte sich schlagartig, als ich 14 Jahre alt war und mein Vater mit der Mutter meiner damals besten Freundin durchgebrannt ist. Meine Mutter wurde davon eiskalt erwischt und war für lange Zeit ein psychisches Wrack. Aus diesem Grund habe ich es nicht gewagt, meine Pubertät auszuleben, wie andere es getan haben. Meine Mutter hatte genug eigene Sorgen und ich wollte sie nicht noch zusätzlich belasten.
Hinzu kommt, daß ich einen 4 Jahre älteren Bruder habe, der schon immer das Sorgenkind war. Seit dem Tag, als er in die Schule gekommen ist, haben meine Eltern das volle Programm mit Nachhilfe, Erziehungsberatung, Lehrergespräche, ihn bei der Polizei abholen etc. durchgemacht. Er hat kein Fettnäpfchen ausgelassen, hat nur über Umwege den Hauptschulabschluss erreicht, viele Ausbildungen abgebrochen und ist bis heute nicht erwerbstätig. Mittlerweile wurde bei ihm eine Borderline-Störung diagnostiziert und er ist endgültig aus dem System ausgeschieden.
Ich war also schon immer das gute Kind und auf mir lag alle Hoffnung. Also hab ich die Füße still gehalten und meinen schulischen und beruflichen Werdegang ohne Hilfe und größere Zwischenfälle bestritten. Aufgrund der familiären Situation habe ich dann mit 14 Jahren viel zu viel Verantwortung übernommen, um den Scherbenhaufen, den mein Vater hinterlassen hat irgendwie zu beseitigen und mit dem unbeschwerten Leben war es vorbei. Ich war brav, stark und habe versucht, meine Mutter irgendwie zu trösten und keine Probleme zu machen. Wenn ich irgendwelche Sorgen oder Probleme hatte, so habe ich diese mit mir selbst ausgemacht. Bis dahin kannte ich meine Mutter immer nur als stolze und starke Frau. Die Familienmanagerin, die die Kinder großgezogen und bespaßt hat, nebenbei noch arbeiten gegangen ist, den kompletten Haushalt geschmissen hat und die Familie zusammen gehalten hat. Dieses Frauenbild wurde mir schon immer vorgelebt und somit bin ich in diese Rolle rein gewachsen und habe sie dann, als meine Mutter sie nicht mehr erfüllen konnte, übernommen. Und gerade dieses stark sein ist ein Problem, das mich bis heute beschäftigt. Ich arbeite zwar stetig daran, aber es fällt mir immer noch schwer, Schwächen zu zeigen.
Natürlich konnte ich mit 14 Jahren nicht an allen Fronten stark sein und alle Probleme und Schwierigkeiten, die man in diesem Alter ja mit sich selbst eh schon zur Genüge hat, meistern. Also habe ich in der Schule komplett versagt und mußte nach der 8. Klasse das Gymnasium verlassen und sie auf der Realschule nochmal wiederholen. Das war die einzige Ausnahme, wo ich mal nicht unauffällig und reibungslos durchgekommen bin. Somit war dann alles, was ich bis dahin hatte auf einmal weg. Die Freundschaft zu meiner besten Freundin hat diese Herausforderung natürlich nicht überstanden. Mein Vater war weg, bzw. wohnte bei meiner Freundin und ihrer Mutter, meine Mutter hing total in den Seilen und die Schulfreunde vom Gymnasium waren auch nicht mehr da. Ich kam in eine neue Klasse, in der ich niemanden kannte.
Es ging dann aber relativ schnell, daß ich in einen neuen Freundeskreis kam und hier fing dann der Kontakt mit dem Alkohol an. Wir gingen alle auf die 16 Jahre zu und begannen uns an das Trinken heran zu tasten. Ich war natürlich sehr froh und erleichtert, integriert und auf Partys eingeladen zu werden und wollte nicht die Spaßbremse sein, die nichts trinkt. Außerdem bin ich von Haus aus etwas schüchtern und habe dann schnell gemerkt, daß ich mit Alkohol lockerer und aufgeschlossener werde und meine familiären Probleme und das Gefühl, immer erwachsen und vernünftig sein zu müssen, etwas in den Hintergrund schieben konnte. In dieser Zeit habe ich wohl den Grundstein für meinen missbräuchlichen Umgang mit Alkohol gelegt.
So war das bis zur Trunkenheitsfahrt. Ich habe meistens Alkohol getrunken, um von den Verantwortungen des Alltags abzuschalten und mal die Zügel etwas zu lockern.
In den 3 Jahren davor ist mir die Arbeit immer mehr über den Kopf gestiegen. 2014 habe ich mich selbständig gemacht. Ich hatte zwar einen Mitarbeiter, habe aber trotzdem teilweise 50- 55 Stunden pro Woche gearbeitet. Ich habe die Terminvergabe geregelt, bin ans Telefon gegangen, habe die Praxis selbst geputzt und mich am Wochenende noch um Abrechnung, Dokumentation und Buchführung gekümmert. Ich bin zeitweise wirklich auf dem Zahnfleisch gegangen, habe mir aber immer eingeredet, daß ich froh sein muss, daß das Geschäft gut läuft und ich das schon alles schaffe, ich bin ja stark. Burnout ist nur was für Weicheier... Und dann kam Corona.
Wie wir alle, wurde ich von dieser neuen Situation völlig überrascht. Im ersten Lockdown, im Frühjahr 2020, musste ich meine Praxis aufgrund der allgemeinen Verunsicherung und vieler Terminabsagen für 4 Wochen schließen. Meinen Mitarbeiter musste ich in Kurzarbeit schicken. Es gab dann strenge und teilweise unrealistische Vorschriften, in welcher Form medizinische Heilmittel weiterhin verabreicht werden dürfen. Trotz aller Widrigkeiten lief das Geschäft dann aber wieder sehr schnell an. Es dauerte nicht lange und ich stand wieder jeden Tag 10 Stunden an der Behandlungsbank, jetzt allerdings mit FFP2-Maske, was die körperliche Arbeit nicht unbedingt leichter gemacht hat. Da medizinische Betriebe vom Lockdown nicht betroffen waren, konnte ich ab da wieder durchgehend arbeiten. Was ich auch getan habe. Auf Urlaub habe ich 2 Jahre lang weitestgehend verzichtet, um die entstandenen Verluste wieder aufzuholen und weil man ja nicht wußte, was vielleicht noch kommt.
Ein weiterer Punkt, der mich in dieser Zeit sehr belastet hat, waren die geltenden Abstandsregeln und Kontaktverbote. Es kam mir zwar ziemlich unsinnig vor, daß ich täglich 20 Patienten behandelt habe, mich aber abends und am Wochenende nicht mit meinen Freunden treffen durfte. Ich hab mich aber größtenteils daran gehalten, denn ich wollte weder selbst für 2 Wochen in Quarantäne, noch wollte ich Corona mit nach Hause bringen und eventuell meine mittlerweile 85 jährige Mutter infizieren. Somit bestand mein Leben eigentlich nur noch aus Arbeiten, essen und schlafen. Von Work-Life-Ballance war da keine Rede.
Am 6. Februar, zwei Wochen vor meiner Auffälligkeit ist meine Tante mit 74 Jahren an Corona verstorben. Sie hatte eine chronische Lungenerkrankung (COPD) und hat am Ende ihres Lebens noch 34 kg gewogen. Gesehen haben wir das allerdings nicht, denn coronabedingt durfte sie niemand im Krankenhaus besuchen. Die Beerdigung war dann am 18. Februar, einen Tag vor meiner TF.
Als dann das normale, soziale Leben langsam wieder erwacht ist, man wieder Leute treffen und ausgehen durfte und ich wieder mit dem Trinken angefangen habe, bin ich ziemlich schnell über das Ziel hinaus geschossen und habe Alkohol wieder als Ventil benutzt, um Frust, Stress und Sorgen für eine kurze Zeit auszublenden.
Überhaupt wurde mir während meiner Aufarbeitung so richtig klar, daß ich meistens dann vermehrt zum Alkohol gegriffen habe, wenn ich Stress abbauen wollte oder unzufrieden war. Bei meiner ersten Auffälligkeit, lange vor Corona, steckte ich in einer im wahrsten Sinne des Wortes toxischen Beziehung, hatte viel beruflichen Stress und hab, als mir alles zuviel wurde, Zuflucht und Trost im Rausch gesucht, anstatt die notwendigen Veränderungen einzuleiten.
Zum Zeitpunkt meines temporären Rückfalls verursachte es mir wiederum erheblichen Stress, dass mein florierendes Geschäft zunächst komplett eingebrochen ist. Das hat mir jegliche finanzielle Sicherheit genommen und ich hatte Angst, meine Kredite nicht mehr bedienen zu können. Als sich die Lage dann wieder etwas stabilisiert hatte, wuchs mir das Arbeitspensum schnell über den Kopf und mein Leben bestand nur noch aus Arbeit. Einen Ausgleich in der Freizeit gab es nicht, weil ich eigentlich gar keine Freizeit hatte. Das hat wiederum meine Beziehung belastet, denn mein Freund fühlte sich zunehmend vernachlässigt. Wenn ich mal etwas Zeit für ihn hatte, dann drehten sich trotzdem alle Gespräche nur um meine Praxis.
Die Entscheidung, wieder Alkohol zu trinken, traf ich dann zwar eher aus einer Laune heraus, rückblickend muss ich aber feststellen, dass das sehr leichtsinnig und blauäugig war. Es hat nicht lange gedauert und ich habe den Alkohol wieder als Werkzeug benutzt, um vom Alltag und dem Stress Abstand zu bekommen.
13. Welche Wirkung haben Sie in der Vergangenheit nach Alkoholgenuss bei sich beobachtet?
(bei wenig und bei viel Alkohol)
Wenig: gelockerte Stimmung, kommunikativ, konnte besser auf fremde Leute zugehen, konnte Alltagssorgen für eine kurze Zeit ausblenden
Viel: von größeren Mengen Alkohol wurde ich müde und war nicht mehr kommunikativ und locker. Manchmal haben größere Mengen Alkohol auch eine gewisse Melancholie bei mir bewirkt und das mit den Alltagssorgen ins Gegenteil umgekehrt
14. Gab es kritische Hinweise Anderer auf Ihren Alkoholkonsum und wie haben Sie darauf reagiert?
Für gewöhnlich gab es solche Hinweise nicht, denn unter der Woche habe ich viel gearbeitet und nichts getrunken. Mein Freund hat einmal gesagt, mit meiner Abstinenz sei es ja auch nicht mehr so weit her. Da er das aber mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern rüber gebracht hat, habe ich es mir nicht zu Herzen genommen.