Zusammenfassender Überblick:
Baden-Württemberg
MPU ist bei Führerscheinentzug auch unter 1,6 Promille zwingend anzuordnen (VGH BaWü,
Beschluss vom 15.1.2014, Az. 10 S 1748/13; per Erlass des Verkehrsministeriums verbindlich für alle Führerscheinstellen). Ein sich widersetzender Landkreis wurde zur Ordnung gerufen (
Quelle).
Bayern
Information des Landkreises Lindau zur MPU unter 1,6 Promille:
Die Empfehlungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr lauten:
• Bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.
• Bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 Promille bis weniger als 1,6 Promille ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn im Einzelfall aus der strafgerichtlichen Entscheidung über den Promillewert hinaus weitere Anhaltspunkte hinzutreten, welche die Annahme einer Alkoholproblematik begründen.
• Bei einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,1 Promille ist in der Regel keine MPU anzuordnen.
Da es sich nur um Empfehlungen handelt, sind die bayerischen Führerscheinstellen daran allerdings nicht gebunden. Es gibt ein erstinstanzliches Urteil des VG München (Urteil vom 09. Dezember 2014, Az.
M 1 K 14.2841), dass die MPU unter 1,6 Promille für grundsätzlich unzulässig hält. Im Eilverfahren hatte dies eine andere Kammer des VG München aber anders gesehen. Das VG Würzburg (
Beschluss vom 21.07.2014, W 6 E 14.606) hält die MPU-Anordnung unter 1,6 ebenfalls für grundsätzlich unzulässig. Der BayVGH (
Beschluss vom 08.10.2014 Az. 11 CE 14.1776) bezeichnet die Rechtslage im Eilverfahren als "offen". Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren bleibt abzuwarten.
Zusammenfassung: In Bayern ist die Rechtslage unklar. Es gibt eine ministerielle Empfehlung, der baden-württembergischen Rechtsprechung grundsätzlich nicht zu folgen, allerdings ist diese nicht verbindlich.
Berlin
MPU wird derzeit auch unter 1,6 Promille verhängt, abgesegnet durch VG Berlin,
Urteil vom 01.07.2014, Az. 18 K 536.13 (nicht rechtskräftig, Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg steht noch aus).
Nordrhein-Westfalen
Das OVG NRW hat sich bislang nur in einem Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe diesbezüglich geäußert und dabei keine Entscheidung getroffen, da die Frage für das Verfahren nicht von Belang sei (
Beschluss vom 21.01.2015, Az. 16 E 1307/14). Insgesamt scheinen die nordrhein-westfälischen Führerscheinstellen jedoch nicht der baden-württembergischen Linie zu folgen. Eine ministerielle Empfehlung oder Anordnung gibt es nicht.
Restliche Bundesländer
Keine konkreten Informationen bekannt. Gerüchte gab es über MPU-Anordnungen unter 1,6 Promille aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Innerdeutscher Führerscheintourismus
Die MPU-Anordnung unter 1,6 Promille zB in Baden-Württemberg kann erfolgreich umgangen werden, indem eine Wohnung in einem anderen Bundesland (zB Rheinland-Pfalz) genommen wird. Damit die dortige Führerscheinstelle zuständig wird, muss die Ummeldung vor Neuantrag erfolgen. Zu beachten ist, dass eine falsche Anmeldung nach den Landesmeldegesetzen eine Ordnungswidrigkeit ist. Meldet man sich also zB am Wohnsitz von Verwandten an, so kann dies eine Geldbuße nach sich ziehen, wenn die Meldebehörde mitbekommt, dass dort tatsächlich kein Wohnsitz genommen wurde. Die Geldbuße beträgt zB in Rheinland-Pfalz nach § 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Landesmeldegesetz bis zu 500 Euro, gleiches gilt in Baden-Württemberg. Eine Ummeldung kann daher nur empfohlen werden, wenn sie tatsächlich mit einem Wohnsitzwechsel verbunden ist.
Auch wenn danach eine erneute Wohnsitzverlagerung in das alte Bundesland erfolgt, ist die Neuerteilung der Fahrerlaubnis rechtmäßig und die Führerscheinstellen dort können nicht nachträglich eine MPU verlangen.
Radfahrer
Verschiedentlich ist in journalistischen Quellen (zB
hier) zu lesen, die MPU-Anordnung unter 1,6 Promille betreffe auch Radfahrer. Dies entspricht meines Erachtens nicht der Rechtsprechung des VGH BaWü. Der VGH stützt die MPU unter 1,6 Promille bei KFZ-Führern darauf, dass diesen strafgerichtlich die Fahrerlaubnis entzogen worden sei. Damit liege eine Entziehung wegen Alkoholmissbrauchs iSd
§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d) FEV vor. Bei Radfahrern kann aber im Strafverfahren überhaupt keine Entziehung der Fahrerlaubnis stattfinden, weil
§ 69 Abs. 1 StGB das Führen eines Kraftfahrzeugs voraussetzt. Ein Fahrrad ist jedoch kein KFZ, weswegen eine Fahrerlaubnisentziehung im Strafverfahren nicht möglich ist. Eine MPU-Anordnung auf dieser Grundlage scheidet also aus.
Allenfalls ist es denkbar, die MPU-Anordnung bei einem Radfahrer unter 1,6 Promille auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) Variante 2 zu stützen, indem man die TF als Tatsache wertet, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründe. Alkoholmissbrauch iSd FEV liegt nach Nr. 8.1 der
Anlage 4 zur FEV dann vor, wenn "(d)as Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum (...) nicht hinreichend sicher getrennt werden" kann. Ein Radfahrer, der ohne Ausfallerscheinungen unter 1,6 Promille unterwegs ist, begeht also keinen Alkoholmissbrauch nach dieser Definition. Zeigt er jedoch Ausfallerscheinungen, so wäre es zumindest theoretisch denkbar, die MPU auf dieser Grundlage anzuordnen. Dafür wäre es aber erforderlich, dass der Nachweis solcher Ausfallerscheinungen im Strafverfahren gelingt und der Radfahrer deswegen verurteilt wird. Solche Fälle sind zwar theoretisch denkbar, kommen aber in der Praxis - soweit ersichtlich - nicht vor, da die Staatsanwaltschaften sich bei relativ fahruntüchtigen Radfahrern in der Regel mit einer Einstellung des Verfahrens, uU gegen Geldauflage, zufriedengeben. Hintergrund dürfte sein, dass der Nachweis, dass die Ausfallerscheinung alkoholbedingt ist, nur sehr schwer zu führen ist.
Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Radfahrer, der unter 1,6 Promille unterwegs war, wegen dieser TF zur MPU musste.
Zusammenfassung: Radfahrer unter 1,6 Promille müssen keine Angst vor einer MPU haben. Wird diese dennoch angeordnet, so bestehen mE gute Chancen, die Fahrerlaubnis auf dem Klageweg zurückzuerhalten.