24. Warum haben Sie das Trinken reduziert bzw. aufgegeben und warum nicht schon eher?
Ich bin erst durch die besagte Trunkenheitsfahrt nachhaltig aufgerüttelt worden, was mehrere Punkte anbetrifft. Wie unter Punkt 12.) bereits ausführlich beschrieben, habe ich Alkohol am Wochenende und vor freien Tagen unbewusst als eine Art Flucht vor meinen eigenen Gefühlen, meinen Sorgen und Ängsten, über die ich nie geredet und die ich nie aufgearbeitet hatte, konsumiert. Außerdem als Mittel um mich selbstbewusster zu fühlen, kontaktfreudiger und offener zu sein und Druck abzubauen, den ich mir aus dem Drang, keine Schwäche zu zeigen, gemacht habe.
Die Folgen der Trunkenheitsfahrt haben mir schonungslos gezeigt, dass ich sowohl andere als auch mich selbst fahrlässig gefährdet habe durch mein Trinkverhalten. Insbesondere was meine Person anbetrifft, war diese Gefährdung aber nicht nur auf den besagten Abend bzw. auf meine Rolle im Straßenverkehr beschränkt. Denn durch die im Schnitt zweimal pro Monat konsumierten, hohen Mengen an Alkohol habe ich nicht zuletzt, da dies ja immerhin auch über einen längeren Zeitraum geschah, meine Gesundheit massiv gefährdet, indem ich, ohne darüber nachzudenken, organische Schäden riskiert habe.
Auch habe ich seinerzeit nicht in Erwägung gezogen, dass ein durchgehend reduzierter Konsum am zu wenigen besonderen Anlässen oder eine komplette Enthaltsamkeit mir mehr Erholung und Zeit für andere Aktivitäten wie Sport gebracht hätte, infolge derer ich auch nicht so anfällig für ständige Grübeleien zu meinen Ängsten und Sorgen gewesen wäre. Außerdem habe ich erkannt, dass man sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzen muss und dies nur im nüchternen Zustand gelingt. Vor der TF ahnte ich nicht, dass ohne meinen hohen Alkoholkonsum, womöglich viel früher schon Energie freigesetzt worden wäre, über meine Sorgen und Ängste zu reden, mich ernsthaft damit auseinanderzusetzen und so eine positive Veränderung zu bewirken und dass der Alkohol alles nur verdrängt und so noch verschlimmert hat.
Ich habe in der Aufarbeitung der TF über viele Gespräche mit meiner Familie und meinem besten Freund, einer Psychologin und schließlich auch noch einer Verkehrspsychologin ein ganz neues Selbstwertgefühl erlangt, dass bei mir vor der TF immer mit Alkohol in Verbindung stand. Ich habe gelernt, es zu akzeptieren, dass ich ein eher introvertierter Mensch bin und dennoch offen auf meine Mitmenschen zugehen kann und dies im nüchternen Zustand viel besser gelingt wie durch Alkohol „vernebelt“. In Absprache mit meiner Psychologin habe ich auch einige praktische Übungen gemacht (z.B. anfangs eine fremde Person an einer Bushaltestelle nach der Zeit fragen, irgendwann dann mit einer fremden Person auf einer Zugfahrt oder im Fitnessstudio ein Gespräch führen) und so erfahren können, wie positiv die meisten Mitmenschen ganz ohne Alkohol auf mich reagieren. Ich konnte neue Freundschaften schließen (z.B. bei einem neueingezogenen Nachbarn, XX, einfach geklingelt und gefragt, ob wir mal zusammen Tennis spielen gehen, weil dieser Tennisschläger vor der Wohnung stehen hatte, seitdem gut befreundet) und erkannt, dass es dafür keinen Alkohol braucht. Im Gegenteil: Zu einigen Freunden von vor der TF ist der Kontakt inzwischen abgebrochen, weil sie meine Entscheidungen, keinen Alkohol mehr zu konsumieren, nicht akzeptieren wollten. Das sind für mich dann auch keine echten Freunde. Auch mein erhöhtes Sportpensum, was mir überhaupt erst durch KT und dann Abstinenz möglich wurde, führt dazu, dass ich heute sehr selbstbewusst durchs Leben gehe.
All diese Erkenntnisse habe ich (leider) erst durch die Aufarbeitung meiner TF erlangt. Insofern sehe ich die TF heute als positives Erlebnis, da zum Glück niemand verletzt wurde und ich so durch die Aufarbeitung meiner Alkoholvergangenheit und der konsequenten Umstellung meines Alkoholkonsums (erst KT dann AB) zu einer ganz neuen Lebensqualität gekommen bin. Letztlich hat mich vor der TF mein Lebenslauf auf dem Papier sowie das beständige Erreichen aller Teilziele getäuscht, dass alles in Ordnung sei und ich mir keine Gedanken über mein Trinkverhalten machen müsse.
25. Wie haben Sie die Änderung Ihres Trinkverhaltens erreicht und dabei die Umstellungsphase erlebt?
Ich habe nach der TF bis Ende des Jahres 2019 abstinent gelebt, da ich absolut gar keine Lust mehr auf Alkohol hatte. An Weihnachten/Silvester habe ich dann gemerkt, dass ich gerne mit meiner Familie anstoßen möchte und habe das erste Mal wieder ein Bier (0,33l) getrunken. Einige Wochen später hat mich ein Freund besucht, den ich sehr lange nicht mehr gesehen habe (wohnt inzwischen am anderen Ende von Deutschland) und wir haben zusammen ein Bier (0,33l) getrunken.
Daraufhin habe ich festgestellt, dass ich zu diesen Anlässen nicht verzichten möchte und mich im Laufe meiner Vorbereitung zu KT informiert. Die reine Umstellung auf KT war für mich an sich nicht problematisch, allerdings gab es die ein oder anderer Herausforderung wie z.B. Gruppendruck und in dieser Situation die Oberhand zu behalten. Zu meinen engen Freunden, war ich direkt offen und transparent und konnte somit Situationen, bei denen sie mich zum Alkohol überreden wollten, entschärfen. Nach meiner Erklärung hat mich niemand mehr zu irgendwas gedrängt, allerdings war man natürlich etwas von der Gruppe abgegrenzt und ich musste einiges an Sprüchen über mich ergehen lassen. Etwas anders verlief es bei Personen, die nicht eingeweiht waren. In kritischen Situationen habe ich meist nur gesagt, dass ich keine Lust auf Alkohol habe oder dass ich aus gesundheitlichen Gründen meinen Konsum stark reduziert habe. Gab es danach immer noch penetrante Versuche, habe ich mich der Situation entzogen oder schlagfertige Sprüche parat gelegt.
Einmal gab es eine Situation, bei der ich darüber nachgedacht habe, wie es jetzt wäre etwas bzw. mehr als mein KT-Limit zu trinken. Ich war im Sommer 2021 (Juli) mit Freunden beim Grillen am See, die Stimmung war sehr gut, da man nach dem langen Coronalockdown endlich wieder so etwas machen konnte. Nachdem ich mit 2 Bier à 0,33l mein absolutes Limit erreicht hatte, versuchten mich meine Freunde zu überreden, doch noch ein weiteres Bier zu trinken. Mir kam dann tatsächlich kurz der Gedanke hoch, das Wetter ist gut, die Stimmung auch, das Bier schmeckt, jetzt trinkst du halt ausnahmsweise noch ein drittes. Dann habe ich aber überlegt, ob es das jetzt wirklich wert ist, für diesen einen Moment, meine ganze Aufarbeitung über Bord zu werfen und den Gedanken schnell wieder verworfen. Ich dachte dann auch an den Abend der TF zurück und, dass ich nie wieder in so einer Situation, bei der ich nicht mehr Herr der Lage bin, stecken möchte. Als Konsequenz habe ich mir dann intensive Gedanken darüber gemacht, doch vollständig abstinent zu leben, um gar nicht mehr so in Versuchung zu kommen.
Ich beschloss dann auf jeden Fall mal für den Zeitraum meiner anstehenden Vorbereitung auf die mündliche Abschlussprüfung (die letzte meines Studiums) abstinent zu bleiben. In den etwa 4 Monaten habe ich gemerkt, dass es mir doch gar nicht (mehr) schwer fällt auch zu besonderen Anlässen völlig auf Alkohol zu verzichten. Die Reaktionen meiner Freunde und Mitmenschen nahm ich sogar als noch positiver und respektvoller wahr, als bei KT (einige Kommentare wie „Wow, echt Respekt, dass du völlig auf Alkohol verzichtest“, bei KT gab es weniger Kommentare in der Art). Zudem empfand ich es auch als angenehm, mir nun nicht mehr so viele Gedanken über die Einhaltung von KT machen zu müssen. Der konsequente Schnitt zum vollständigen Verzicht auf Alkohol löste eine befreiende Wirkung in mir aus.
Im Dezember (eine Woche vor Weihnachten) 2021 bestand ich dann meine mündliche Abschlussprüfung und schloss damit mein Lehramtsstudium erfolgreich ab. Zur Feier dieses „Meilensteins“ habe ich an Weihnachten 2021 noch einmal im Kreise meiner Familie mit einem Radler 0,33l angestoßen (und dies getrunken). Gleichzeitig war das für mich, wenn man so will, auch ein endgültiges Abschlussritual vom Alkoholkonsum (eben auch von KT). Meine Familie hat dies auch sehr positiv aufgenommen, als ich von diesem Plan erzählte und mir die volle Unterstützung zugesprochen. Gleichzeitig haben sie mich ermutigt, ich könnte mir dann doch auch meinen Führerschein wiederholen, um dann zusammen mit dem Beginn meines Referendariats (läuft seit Januar) endgültig in ein neues, komplett alkoholfreies Leben zu starten. Dies hielt ich für eine gute Idee und so sitze ich heute hier bei ihnen und versuche ihnen zu zeigen, dass ich wieder in der Lage bin, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen.
26. Wie wirkt sich Ihr geändertes Verhalten auf Sie, Ihr Leben und Ihr Umfeld aus?
Durch die Trunkenheitsfahrt und die daran gekoppelten Anstöße zu einer Selbstreflektion und Veränderung des eigenen Verhaltens ist grundsätzlich etwas bei mir in Bewegung gekommen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass es in Ordnung ist, Schwäche zu zeigen und es wichtig ist, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Ich weiß inzwischen, wie verständnisvoll die Menschen auf meine Ängste und Sorgen reagieren und wie wohltuend es ist, mit ihnen darüber zu sprechen. Dazu brauche ich nur in mein persönliches Umfeld zu schauen, in dem mich sehr viele liebe Menschen wie z.B. mein Vater, meine Tante und mein Bruder sowie mein langjähriger bester Freund begleiten. Mit der Trauer über den Tod meiner Mutter, die ich bis zur TF, wie ich heute weiß, vorwiegend verdrängt habe, lernte ich in vielen Gesprächen der Aufarbeitung umzugehen. Heute gehe ich regelmäßig zu ihrem Grab und rede mit ihr. Das ist ein wichtiger Baustein für mich für einen Umgang mit ihrem Tod, ohne zum Alkohol greifen zu müssen, geworden.
Mit meinem besten Freund AA, der bei der TF dabei war, habe ich unzählige auch sehr persönliche Gespräche geführt. Dies hat dazu geführt, dass er sein Alkoholkonsum ebenfalls als problematisch erkannt und mit mir zusammen aufgearbeitet hat. Er hatte damals zwar keine strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen, es war für ihn aber genauso ein „Schuss vor den Bug“ wie für mich. Ich weiß noch, dass in den Gesprächen zwischen uns in der Zeit unmittelbar nach der TF viele Tränen geflossen sind, weil wir erkannt haben, wie gefährlich unser Alkoholkonsum für unsere Mitmenschen war und dass wir unbedingt etwas grundsätzlich ändern müssen. AA hat neben den Gesprächen mit mir auch sehr viele Gespräche mit seinen Eltern geführt. Die Aufarbeitung der TF und der gemeinsame Weg zu einem verantwortungsbewussten Alkoholkonsum (und schließlich völliger AB) hat unsere Freundschaft nochmal auf ein ganz neues Level gehoben. Wir wissen jetzt, dass wir ineinander wirklich Freunde fürs Leben haben, die über alles reden und sich gegenseitig unterstützen.
Es ist mir klar geworden, dass ich Energien für eine positivere Gestaltung meines Alltags gewinne, wenn ich mich selbst nicht unter Druck setze, stark sein zu müssen und zudem meine Freizeit nicht mit Alkohol verbringe. Ich bin dadurch grundsätzlich ausgeruhter und durch den Ersatz des Feierns durch regelmäßigen Sport, Meditationen, Spaziergänge, Lesen, Saunabesuche erstens ausgeglichener und zweitens tatkräftiger geworden, was die aktive Gestaltung meiner Zukunft anbelangt.
Dies führte zusammen mit den vielen Gesprächen in der Aufarbeitung der TF zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein. Ich gehe nun viel offener und kontaktfreudiger durchs Leben und habe nicht mehr das Gefühl, Alkohol konsumieren zu müssen, um als eher introvertierte Person, auf Leute zu gehen zu können. Ich konnte einige neue Freundschaften finden, wie es mir vor meiner TF nicht möglich gewesen wäre. So habe ich beispielsweise im September letzten Jahrs einfach bei einem Nachbarn geklingelt, der gerade erst in das Haus nebenan eingezogen war, um diesen zu begrüßen. Als ich einen Tennisschläger in seiner Wohnung bemerkte, lud ich ihn spontan zu einem gemeinsamen Tennismatch ein. Das hat dazu geführt, dass ich bis heute in XX einen sehr guten und verständnisvollen Freund habe, der genauso gerne Sport treibt, wie ich und in Bezug auf Alkohol die gleiche Einstellung hat. Als ich im Januar dieses Jahres mit dem Referendariat angefangen habe, fiel es mir leicht unter den Lehrerkollegen in der Schule und meinen Mitreferendaren am Seminar Anschluss zu finden und neue Kontakte zu knüpfen. Auch hier sind bereits neue Freundschaften entstanden, darunter zum Beispiel mit JJ (Mitreferendar), der wie ich die Fächer Deutsch und Geschichte unterrichtet. Wir tauschen ständig gegenseitig Materialien und sonstige Tipps aus, was uns die Arbeit gegenseitig erleichtert und auch abseits der Arbeit verstehen wir uns sehr gut, schauen z.B. mal zusammen Fußball. Auch die Kommunikation mit meiner Mentorin an der Schule läuft in einem so guten Maß, wie es vor meiner TF wohl nicht funktioniert hätte.
Dadurch, dass ich meine Freizeit am Wochenende nun nicht mehr mit Feiern und damit, sich davon zu erholen, verbringe, habe ich Möglichkeiten zur Erholung (besserer Schlaf, Sport) sowie mehr Raum für andere ausfüllende Tätigkeiten wie schon beschrieben. Zudem komme ich jetzt wieder regelmäßig dazu kreativ zu schreiben, ein Hobby, das ich seit meinem Studienbeginn auch aufgrund des gesteigerten Alkoholkonsums fast komplett vernachlässigt hatte. Ich besuche inzwischen sogar eine Gruppe, die sich einmal pro Woche trifft, um gemeinsam zu schreiben.
Insgesamt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es nicht guttut, immer stark sein zu wollen, sondern viel befreiender ist, offen mit seinen Schwächen, seinen Sorgen und Ängsten umzugehen und über diese zu sprechen. Das heißt für mich konkret, dass ich (a). wenn mir etwas auf dem Herzen liegt, sofort das Gespräch mit meinem besten Freund AA, meinem Vater, meiner Tante und/ oder meinem Bruder suche und (b) diese informiert sind, dass sie mich darauf aufmerksam machen sollen, wenn sie je das Gefühl haben, ich würde professionelle Hilfe benötigen. Dazu wäre ich dann auch sofort bereit. Sollte mich je wieder ein ähnlicher Schicksalsschlag wie der Tod meiner Mutter treffen, weiß ich jetzt, dass es für mich wichtig ist, mir dann eine Auszeit zu nehmen und erstmal Zeit im Kreise der Familie zu verbringen, um gemeinsam zu trauern und darüber zu sprechen. Zudem würde ich auch hier nicht zögern, professionelle Hilfe aufzusuchen, wenn ich das Gefühl hätte es wäre nötig oder mir nahestehende Person dazu raten würden.
Zuletzt akzeptiere ich mich heute als eher introvertierte Person, habe aber auch gelernt, offen und kontaktfreudig auf Menschen zugehen zu können, und zwar völlig ohne Alkohol. Wie ich erfahren durfte, geht das im nüchternen Zustand bei klarem Verstand viel besser. (So habe ich vor der TF (im alkoholisierten Zustand) auch Kontakt zu Menschen gesucht, die gar nicht zu mir passen und gar nicht „auf einer Wellenlänge“ mit mir sind). Auch weiß ich heute, dass Alkoholkonsum kein Ersatz für ein vermindertes Selbstwertgefühl ist. Heute fühle ich mich im Reinen mit mir selbst und bin stolz auf die Person, die ich bin, und vor allem auch auf die Entwicklung, die ich nach der TF durch die intensive Auseinandersetzung damit genommen habe. Auch der Blick darauf, was ich schon alles erreicht habe und für was ich alles dankbar sein kann, erfüllt mich mit einem Glücksgefühl (Abitur, abgeschlossenes Lehramtsstudium, komme allein in einer Stadt weg von meiner Heimat zurecht auch ohne Alkoholkonsum, Abstinenz, Familie und neuer Freundeskreis).
Gleichzeitig weiß ich heute, dass nicht immer alles perfekt läuft und es ganz normal ist, auf seinem Lebensweg schwierige Hürden überwinden zu müssen und es ok ist, sich auch mal überfordert zu fühlen. So war ich am Anfang meines Referendariats überwältig von dem hohen Arbeitspensum und der Menge an Dingen, die man gleichzeitig regeln muss. Ich habe viel meditiert, Sport gemacht, meine „Grübelstunde“ praktiziert und auch sofort das Gespräch mit meinen Vertrauenspersonen, Lehrerkollegen und Mitreferendaren gesucht und es so geschafft, mir mit der Zeit alles so einzuteilen, dass ich inzwischen sehr gut zurechtkomme.