26. Wie wirkt sich Ihr geändertes Verhalten auf Sie, Ihr Leben und Ihr Umfeld aus?
Durch die Trunkenheitsfahrt und die daran gekoppelten Anstöße zu einer Selbstreflektion und Veränderung des eigenen Verhaltens ist grundsätzlich etwas bei mir in Bewegung gekommen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass es in Ordnung ist, Schwäche zu zeigen und es wichtig ist, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Ich weiß inzwischen, wie verständnisvoll die Menschen auf meine Ängste und Sorgen reagieren und wie wohltuend es ist, mit ihnen darüber zu sprechen. Dazu brauche ich nur in mein persönliches Umfeld zu schauen, in dem mich sehr viele liebe Menschen wie z.B. mein Vater, meine Tante und mein Bruder sowie mein langjähriger bester Freund begleiten. Mit der Trauer über den Tod meiner Mutter, die ich bis zur TF, wie ich heute weiß, vorwiegend verdrängt habe, lernte ich in vielen Gesprächen der Aufarbeitung umzugehen. Heute gehe ich regelmäßig zu ihrem Grab und rede mit ihr. Das ist ein wichtiger Baustein für mich für einen Umgang mit ihrem Tod, ohne zum Alkohol greifen zu müssen, geworden.
Mit meinem besten Freund AA, der bei der TF dabei war, habe ich unzählige auch sehr persönliche Gespräche geführt. Dies hat dazu geführt, dass er sein Alkoholkonsum ebenfalls als problematisch erkannt und mit mir zusammen aufgearbeitet hat. Er hatte damals zwar keine strafrechtlichen Konsequenzen zu tragen, es war für ihn aber genauso ein „Schuss vor den Bug“ wie für mich. Ich weiß noch, dass in den Gesprächen zwischen uns in der Zeit unmittelbar nach der TF viele Tränen geflossen sind, weil wir erkannt haben, wie gefährlich unser Alkoholkonsum für unsere Mitmenschen und dass wir unbedingt etwas grundsätzlich ändern müssen. AA hat neben den Gesprächen mit mir auch sehr viele Gespräche mit seinen Eltern geführt, zudem war er auch bei einem Verkehrspsychologen. Die Aufarbeitung der TF und der gemeinsame Weg zu einem verantwortungsbewussten Alkoholkonsum (und schließlich völliger AB) hat unsere Freundschaft nochmal auf ein ganz neues Level gehoben. Wir wissen jetzt, dass wir ineinander wirklich Freunde fürs Leben haben, die über alles reden und sich gegenseitig unterstützen.
Es ist mir klar geworden, dass ich Energien für eine positivere Gestaltung meines Alltags gewinne, wenn ich mich selbst nicht unter Druck setze, stark sein zu müssen und zudem meine Freizeit nicht mit Alkohol verbringe. Ich bin dadurch grundsätzlich ausgeruhter und durch den Ersatz des Feierns durch regelmäßigen Sport, Meditationen, Spaziergänge, Lesen, Saunabesuche erstens ausgeglichener und zweitens tatkräftiger geworden, was die aktive Gestaltung meiner Zukunft anbelangt.
Dies führte zusammen mit den vielen Gesprächen in der Aufarbeitung der TF zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein. Ich gehe nun viel offener und kontaktfreudiger durchs Leben und habe nicht mehr das Gefühl, Alkohol konsumieren zu müssen, um als eher introvertierte Person, auf Leute zu gehen zu können. Ich konnte einige neue Freundschaften finden, wie es mir vor meiner TF nicht möglich gewesen wäre. So habe ich beispielsweise im Sommer 2020 einfach bei einem Nachbarn geklingelt, der gerade erst in das Haus nebenan eingezogen war, um diesen zu begrüßen. Als ich einen Tennisschläger in seiner Wohnung bemerkte, lud ich ihn spontan zu einem gemeinsamen Tennismatch ein. Das hat dazu geführt, dass ich bis heute in XX einen sehr guten und verständnisvollen Freund habe, der genauso gerne Sport treibt, wie ich und in Bezug auf Alkohol die gleiche Einstellung hat. Als ich im Januar diesen Jahres mit dem Referendariat angefangen habe, fiel es mir leicht unter den Lehrerkollegen in der Schule und meinen Mitreferendaren am Seminar Anschluss zu finden und neue Kontakte zu knüpfen. Auch hier sind bereits neue Freundschaften entstanden, darunter zum Beispiel mit XX (Mitreferendar), der wie ich die Fächer Deutsch und Geschichte unterrichtet. Wir tauschen ständig gegenseitig Materialien und sonstige Tipps aus, was uns die Arbeit gegenseitig erleichtert und auch abseits der Arbeit verstehen wir uns sehr gut, schauen z.B. mal zusammen Fußball. Auch die Kommunikation mit meiner Mentorin an der Schule läuft in einem so guten Maß, wie es vor meiner TF wohl nicht funktioniert hätte.
Dadurch, dass ich meine Freizeit am Wochenende nun nicht mehr mit Feiern und damit, sich davon zu erholen, verbringe, habe ich Möglichkeiten zur Erholung (besserer Schlaf, Sport) sowie mehr Raum für andere ausfüllende Tätigkeiten wie schon beschrieben. Zudem komme ich jetzt wieder regelmäßig dazu kreativ zu schreiben, das habe ich vor der TF fast gar nicht mehr geschafft. Ich besuche inzwischen sogar eine Gruppe, die sich einmal pro Woche trifft, um gemeinsam zu schreiben.
Insgesamt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es nicht guttut, immer stark sein zu wollen, sondern viel befreiender ist, offen mit seinen Schwächen, seinen Sorgen und Ängsten umzugehen und über diese zu sprechen. Das heißt für mich konkret, dass ich (a). wenn mir etwas auf dem Herzen liegt, sofort das Gespräch mit meinem besten Freund AA, meinem Vater, meiner Tante und/ oder meinem Bruder suche und (b) diese informiert sind, dass sie mich darauf aufmerksam machen sollen, wenn sie je das Gefühl haben, ich würde professionelle Hilfe benötigen. Dazu wäre ich dann auch sofort bereit. Sollte mich je wieder ein ähnlicher Schicksalsschlag wie der Tod meiner Mutter treffen, weiß ich jetzt, dass es für mich wichtig ist, mir dann eine Auszeit zu nehmen und erstmal Zeit im Kreise der Familie zu verbringen, um gemeinsam zu trauern und darüber zu sprechen. Zudem würde ich auch hier nicht zögern, professionelle Hilfe aufzusuchen, wenn ich das Gefühl hätte es wäre nötig oder mir nahestehende Person dazu raten würden.
Zuletzt akzeptiere ich mich heute als eher introvertierte Person, habe aber auch gelernt, offen und kontaktfreudig auf Menschen zugehen zu können, und zwar völlig ohne Alkohol. Wie ich erfahren durfte, geht das im nüchternen Zustand bei klarem Verstand viel besser. (So habe ich vor der TF (im alkoholisierten Zustand) auch Kontakt zu Menschen gesucht, die gar nicht zu mir passen und gar nicht „auf einer Wellenlänge“ mit mir sind). Auch weiß ich heute, dass Alkoholkonsum kein Ersatz für ein vermindertes Selbstwertgefühl ist. Heute fühle ich mich im Reinen mit mir selbst und bin stolz auf die Person, die ich bin und vor allem auch auf die Entwicklung, die ich nach der TF durch die intensive Auseinandersetzung damit genommen habe. Auch der Blick darauf, was ich schon alles erreicht habe und für was ich alles dankbar sein kann, erfüllt mich mit einem Glücksgefühl (Abitur, abgeschlossenes Lehramtsstudium, komme allein in einer Stadt weg von meiner Heimat zurecht auch ohne Alkoholkonsum, Abstinenz, Familie und neuer Freundeskreis).
Gleichzeitig weiß ich heute, dass nicht immer alles perfekt läuft und es ganz normal ist, auf seinem Lebensweg schwierige Hürden überwinden zu müssen und es ok ist, sich auch mal überfordert zu fühlen. So war ich am Anfang meines Referendariats überwältig von dem hohen Arbeitspensum und der Menge an Dingen, die man gleichzeitig regeln muss. Ich habe viel meditiert, Sport gemacht, spazieren und auch sofort das Gespräch mit meinen Vertrauenspersonen, Lehrerkollegen und Mitreferendaren gesucht (zusätzlich war ich für ein Gespräch bei unserer Schulpsychologin) und es so geschafft, mir mit der Zeit alles so einzuteilen, dass ich inzwischen sehr gut zurechtkomme.
Selbst die Ernährung habe ich mittlerweile zum positiven verbessert und erhoffe mir darüber hinaus von einem von der Krankenkasse unterstützten Entspannungskurs, den ich im Oktober beginnen werde, eine zusätzliche Erholung durch die gezielte und methodengestützte Absenkung meiner in der Vergangenheit ständigen Grübeleien über meine Sorgen und Ängste, was sich hoffentlich ebenfalls positiv auf meine Lebensqualität im Alltag auswirken wird.
27. Wie stellen Sie sicher, dass Ihr neues Verhalten dauerhaft stabil bleibt?
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich durch mein verändertes Verhalten insgesamt mehr Ressourcen freibekommen habe für die schönen Dinge des Lebens, ich sowohl Beruf als auch Freizeit aktiver und effizienter gestalte als in den vergangenen Jahren und ich begriffen habe, dass ich es bin, der sich um mich kümmern muss, und niemand anders. Also bin auch ich es, der dafür Sorge tragen muss, dass ich mich durch mein Verhalten nicht selber schädige, und dies immer unter der Maxime, dass ich dies auch nicht auf lange Sicht tue (zu viel Grübeleien, alles in mich „hineinfressen“, keine Schwäche zeigen, denken als Introvertierter könnte ich nicht kontaktfreudig sein und wäre nichts wert, Alkoholkonsum,…).
Insgesamt tut mir die Veränderung meines Verhaltens sehr gut. Ich fühle mich viel befreiter als in den Jahren vor der TF und einfach im Reinen mit mir selbst bedingt dadurch, dass ich meine Probleme, meine Sorgen und Ängste jetzt angehe und darüber spreche, statt sie vor freien Tagen oder am Wochenende mit Alkohol nur „wegzuspülen“, sowie die (Wieder)-Aufnahme mehrerer sinnvoller Freizeitaktivitäten wie z.B. Sport oder das kreative Schreiben. Dies erscheint mir als ein erfolgversprechendes Modell auch für die Zukunft, da ich durch meine Verhaltensänderung belohnt werde.
Ich habe mich intensiv mit meinem bisherigen Leben auseinandergesetzt und durch eine Aufarbeitung meiner Trunkenheitsfahrt erkannt, dass Alkohol mir vorgegaukelt hat, dass ich mich mit meinen Gefühlen nicht auseinandersetzen muss und es gut wäre, keine Schwäche zu zeigen und nicht offen damit umzugehen. Außerdem diente er als Ersatz für mein vermindertes Selbstwertgefühl. Heute habe ich einen aufmerksamen Blick für meine Emotionen, kann diese benennen und zulassen. Alles was ist, darf da sein.
Ich habe viel Unterstützung durch meinen besten Freund und meine tolle Familie (Vater, Bruder, Tante). Ich weiß, dass ich bei einer Rückfallgefahr immer jemanden zum Reden habe, der mich wieder auf den rechten Weg bringt. Dieser Rückhalt macht mich enorm stark und es hilft mir zu wissen, dass ich im Zweifel einfach nicht allein bin. Außerdem finde ich meinen Ausgleich nun durch viel Bewegung, Sport, Meditation, Spaziergänge, Lesen, Sauna, kreatives Schreiben. Ich gestalte mein Leben achtsamer und schaue darauf, dass ich auf mich selbst und meine Gefühle achte.
Beispielsweise hatte ich zu Weihnachten (2021) Sorge, dass meine Freunde und mein Umfeld, meinen geplanten Schritt zur vollständigen Alkoholabstinenz nicht verstehen und mich dann weniger mögen würden. Vor meiner TF hätte ich darüber nicht reden wollen, weil ich gedacht hätte, ich muss stark sein und darf meine Familie zu Weihnachten nicht mit meinen Sorgen belasten. Jetzt aber habe ich gleich das Gespräch mit meiner Tante und meinem Bruder gesucht und es ging mir danach viel besser.
28. Können Sie sich vorstellen, jemals wieder in Ihre alten Gewohnheiten zurückzufallen?
Trotz der positiven Veränderung meines Verhaltens in den letzten Monaten bin ich mir darüber bewusst, dass es eine Vielzahl von Risiken gibt, die einen Rückfall in alte Verhaltensmuster begünstigen können. Wie gehe ich z.B. in Zukunft mit extremen Konflikten im Beruf und/oder Privatleben um? Oder was passiert, wenn mich eine Person oder eine Gruppe unter Druck setzt in Bezug auf mein aktuelles Trinkverhalten?
Zum ersten Fall kann ich sagen, dass ich im Falle einer sich beruflich und/oder privat extrem zuspitzenden Konfliktsituation vorgesorgt habe, indem ich sowohl mein bester Freund, sofern dieser nicht Teil des Konfliktes sein sollte, oder meinen Bruder, mit dem das ebenfalls so abgesprochen ist, und/oder eine Beratungsstelle kontaktiere (Telefonseelsorge), deren Nummer ich in meinem Handy eingespeichert habe. Dadurch habe ich mehrere Gesprächsalternativen für jede Uhrzeit parat für den Fall, dass ich in eine verzweifelte Situation gerate und parallel andere Möglichkeiten aus unterschiedlichen Gründen ausscheiden sollten.
Im Falle einer mir gegenübertretenden Diskussion über mein verändertes Trinkverhalten habe ich gedanklich ebenfalls vorgesorgt. Sollte mir z.B. eine Person/Gruppe ein alkoholisches Getränk anbieten, so lehne ich dies klar und deutlich ab. Sollte nicht von mir abgelassen werden, werde ich mich von dieser Gruppe entfernen, oder, wenn dies nicht geht, vehement und unmissverständlich ausdrücken, dass ich dies nicht will. Sollte mich eine Gruppe/Person z.B. in aufziehender Weise auf meinen Nichtkonsum ansprechen, indem z.B. die Frage gestellt wird, was es denn bringe, nichts zu trinken, würde ich z.B. das Thema wechseln oder die Gegenfrage stellen, was es denn bringen würde, (viel) zu trinken. Auf keinen Fall werde ich mich für mein Verhalten rechtfertigen oder mich in eine defensive Position drängen lassen.
Auch gesellschaftlich vorgeblich legitimierter Konsum wie z.B. der obligatorisch angebotene Ouzo zu einem griechischen Essen ist für mich Tabu. Ebenso werde ich in Zukunft, sofern dies medizinisch machbar ist, Medikamente mit Alkohol meiden, denn mir ist durch die Gespräche mit meinem Verkehrspsychologen klar, dass selbst kleine Mengen die Einstellung zum Alkohol fördern können. Auch dies gilt es im Rahmen der Rückfallprophylaxe zu erkennen und zu berücksichtigen.
29. Wie wollen sie in Zukunft das Trinken vom Fahren trennen?
Ich trinke nicht mehr.
30. Haben Sie zum Abschluss noch etwas hinzuzufügen?
Ich bin froh, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist, denn es war bei mir 5 vor 12. Ohne die Trunkenheitsfahrt hätte ich mir niemals ernsthafte Gedanken über mein Trinkverhalten gemacht und mein Konsum hätte sich weiter gesteigert und mein Leben wäre aus den Angeln geraten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass meine Alkoholabstinenz so etwas wie eine 2. Chance ist, die ich unbedingt nutze und weiterhin nutzen werde. Ich bin unendlich froh, dass niemand auf Grund meiner Rücksichtslosigkeit und Fahrlässigkeit zu Schaden gekommen ist und dankbar, dass mein Leben sich seit dem Vorfall so positiv entwickelt.