Exploration
9. Wann hatten Sie den ersten Kontakt mit Alkohol und wann haben Sie das erste Mal Alkohol zu sich genommen? (Allererste Erinnerung und erster Konsum)
zu 9. Mit 14 Jahren hatte ich meinen ersten Vollrausch, der Nahe an einer Alkoholvergiftung war. Ich konnte damals damit nicht wirklich umgehen. Als ich Nachhause kam, haben meine Eltern das sofort gemerkt, da ich nicht mehr richtig sprechen und stehen konnte. Mir ging es richtig schlecht und meinen Eltern sagten noch, das geschieht dir Recht. Hoffentlich geht es dir richtig schlecht. Ich musste mich damals mehrmals übergeben. Nie wieder, sagte ich mir. So einen Kontrollverlust wollte ich nicht mehr erleben. Kurze Zeit später begann meine Drogenkarriere und hier hatte ich in Verbindung mit Alkohol auch keine guten Erfahrungen gemacht.
10. Haben Sie regelmäßig Alkohol getrunken, und wie hat sich ihr Trinkverhalten in den letzten Jahren entwickelt?
zu 10. Alkohol war lange kein Thema für mich. Aufgrund der schlechten Erfahrung, aber auch weil ich eine langjährige Drogenkarriere hinter mir habe. Zu meinen Drogen hatte Alkohol nie gepasst. Ich hatte zudem eine gewisse Abneigung gegenüber Alkoholikern bzw. Personen, die im Vollrausch unterwegs sind. Meistens ging genau von solchen Personen beim Weggehen Aggressionen aus. Nach dem ich zwei stationäre Therapien hinter mir hatte, habe ich auch gelernt und gesehen, dass es oft eine Suchtverlagerung hin zum Alkohol gibt. Ich hatte mir dabei immer selbst gesagt, das passiert mir nicht. Heute weiß ich, dass ich das Thema Alkohol in Verbindung mit Suchtverlagerung total unterschätzt habe. Nach der letzten Therapie ging es mit mir stets nach oben, sowohl privat als auch beruflich. Ich festigte meine Drogenabstinenz, hörte mit dem Zigaretten rauchen auf und startete ein Abendstudium. Wichtige Eckpfeiler waren meine damalige Freundin und mein Sport. Ich war sozusagen auf der Welle des Erfolges. Meine Drogenvergangenheit und die Themen Sucht, Drogen verschwanden immer mehr in den Hintergrund, ich habe mich gnadenlos selbstüberschätzt und war mir zu sicher. Beim Weggehen hatte ich keine Probleme nichts zu trinken. Ich habe nie gedanklich auf Alkohol verzichtet, ich habe schlichtweg einfach keinen Drang oder Lust dazu gehabt. Ich war auch soweit ich mich zurückerinnere, nie der Einzige der nichts getrunken hatte. In solchen trinkfesten Kreisen war ich nicht unterwegs.
Was mir zur damaligen Zeit nicht bewusst war, bzw. erst durch meine intensive Aufarbeitung bewusstwurde und dem Drang es selbst verstehen zu wollen waren folgende Dinge:
Im Verlaufe der Zeit gab es aber immer wieder Verharmlosungen aus meinem Umfeld. Nicht böse gemeint oder nach der Art: boah den Vollrausch habe ich gebraucht. Sondern so kleine Randbemerkungen, wie Markus ich hatte doch neulich mein Date. Hätte ich nicht 2 Gläser Wein getrunken, ich wäre zu schüchtern gewesen. Oder, Markus ich wurde gekündigt. Auf den Schock musste ich erstmal einen Schnaps trinken. Ich begann Alkohol zu verharmlosen und auch irgendwie Verständnis dafür aufzubauen. Das Thema Suchtverlagerung war bei mir nicht mehr präsent und so bahnte sich mein erster Rückfall mit Alkohol an. Mitte 2018 wurde ich von einem Arbeitgeber abgeworben und ich erhielt einen Arbeitsvertrag mit einem 6stelligen Gehalt. Mein neuer Arbeitgeber gratulierte mir und schenkte mir eine Flasche Sekt. Ich habe nicht viel nachgedacht, sondern mit meinen neuen Kollegen darauf angestoßen. Ich trank an diesem Tag 2 Gläser. Ende 2018 trank ich im Kreise meiner Familie eine Tasse Glühwein. Ich habe dann in den nächsten zwei Jahren zu besonderen Anlässen Alkohol konsumiert ohne mir darüber tiefere Gedanken zu machen bzw. es einfach zu verharmlosen. Ende 2019 verlor ich zuerst meinen Job, dann die sozialen Kontakte und die Möglichkeit Sport zu machen. Durch den Strukturverlust war ich mental sehr angeschlagen, wusste nichts mit mir anzufangen und hatte eine schwierige wirtschaftliche Situation. Es fühlte sich aussichtslos an und ich hatte große Zukunftsängste alles zu verlieren was ich mir erkämpft und aufgebaut hatte. Ab Mitte April 2020 fing dann mein regelmäßiger Alkoholkonsum an. Dieser entwickelte sich stetig sowohl was die Menge anging als auch der Trinkhäufigkeit. Ich habe nicht täglich getrunken, es gab bis zum Ende immer wieder Trinkpausen, allerdings waren es zu Beginn 3 Trinktage und zum Ende 4-5. Auch die Alkoholmenge hatte sich mehr als verdoppelt.
11. Wie viel und wie oft haben Sie getrunken? (Genaue Angaben in Sorte, Menge, Häufigkeit)
zu 11. Ich habe rückblickend am Ende fast täglich getrunken. Es gab Phasen, wo ich auch 2-3 Tage nacheinander getrunken habe. Dann aber auch wieder 1-2 Tage ohne Alkohol. Anfangs trank ich nur Wein. nie Bier, Cocktails oder Liköre. Später, als die Wirkung nicht mehr so wie Anfangs war, habe ich Schnaps und hier eigentlich nur Vodka dazu genommen. Ganz zu Beginn hat mir eine halbe Flasche Wein gereicht um richtig betrunken zu sein und einzuschlafen. Das hat sich aber meiner Meinung nach relativ schnell gesteigert. Kurze Zeit später wurden daraus eine ganze Flasche Wein, also jeweils eine Flasche (1L) je Trinkabend 3x die Woche. Ab September in etwa, war ich bereits bei 1,5 Flaschen (1L) Wein je Trinkabend und hier 3-4 die Woche. Im Dezember war mein Missbrauch weit fortgeschritten, da ich bereits angefangen hatte meinen Alkohol mit Schnaps zu erweitern. Ich trank nun fast jeden Tag mindestens 4x oft 5x die Woche und je Trinkabend 1 Flasche Wein und 1 bis 3 Vodka Gorbatschow 0,1L. Ich habe bis auf eine Handvoll an Tagen nie in der Früh angefangen zu trinken. Ich hatte meine feste Routine. Eine Routine die mich fadenscheinig glauben ließ Kontrolle zu haben. In der Früh habe ich, wenn es ging Sport gemacht, gegessen und Bewerbungen geschrieben bzw. auch Bewerbungsgespräche geführt. Ich habe zusätzlich übermäßig viel TV gesehen zur Ablenkung. Erst gegen frühen Abend fing ich mit dem Trinken an. Das hatte sich auch mit der Zeit nie verändert.
12. Wo und mit wem haben Sie überwiegend getrunken?
zu 12. Ich habe tatsächlich stets Alleine und für mich getrunken. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt. Ich bin bei meinen Freunden als der Sportler bekannt, als der beruflich stets nach oben geht. Der Mister 100%. Derjenige der etwas gegen stark alkoholisierte Menschen hat. Dieses Image und Bild wollte ich weiter aufrechterhalten und lebte in der Heimlichkeit. Zudem habe ich keine solchen Saufpartner. Keiner aus meinem Umfeld hätte mich so akzeptiert.
13. Warum haben Sie getrunken? (12a. Innere und 12b. äußere Motive)
zu 13a. Die Kündigung durch meine damalige Firma wurde mit harten Worten ausgeführt. Ich viel aus allen Wolken, da es bis zu dem Tag keinerlei Hinweise gab. Ich bekam einen neuen Chef, der gerade zwei Monate im Unternehmen tätig war und der mir dann mit den Worten: er hält von mir und meinem Können gar nichts, kündigte. Das hat in mir viel ausgelöst. Bei weitem mehr als mir bewusst war, ich war sehr gekränkt und voller Selbstzweifel. Ich habe mich seit vielen Jahren über den Job definiert. Ich habe dafür hart gearbeitet um mir Anerkennung zu holen, die dann mein Selbstwertgefühl hoben. Ich war Selbstbewusst und auch unter Druck hatte ich keine Probleme. Die berufliche Anerkennung gab es gar nicht mehr. Auch der Sport, durch den ich vieles kompensieren konnte, brach erst einmal weg, da die Fitnesscenter schließen mussten. Ich hatte das Gefühl, die Welt hat sich mit voller Breitseite gegen mich gewendet. Ich fiel regelrecht in ein Loch. Von einem hohen Gehalt in das Arbeitslosengeld. Ich hatte gewisse Fixkosten, die ich nicht mehr bedienen konnte und sah Schuldenberge wachsen. Es war fast wieder wie früher. Ich schämte mich dafür und wollte und konnte mich niemanden anvertrauen. Auch nicht meiner Familie, weil diese endlich mal stolz auf mich war. Das war lange nicht mehr so. Ich wurde ja adoptiert und hatte eine sehr schwierige Kindheit, lernte erst mit 3 Jahren im Waisenheim das sprechen und war bis 13 Jahre Bettnässer. Mit 18 Jahren flog ich dann aus dem Elternhaus raus (15 Jahre keinen Kontakt) und erst in den letzten Jahren haben wir uns wieder genähert. Eben auch weil meine Adoptiveltern gesehen haben, der hat was aus sich gemacht, noch mal studiert und nimmt keine Drogen mehr. Auch meine stetigen Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz blieben ohne Erfolg. Absagen über absagen, die mich weiter nach unten drückten und ich sagte mir innerlich: Markus das wars du hast deinen Zenit überschritten, ab jetzt geht es abwärts. Je länger ich Arbeitslos war, desto größer wurde meine Angst bzw. Panik. Die Angst nicht mehr aufstehen zu können war so groß, dass ich in der Regel nicht länger als vier bis fünf Stunden schlafen könnte.
Diese Drucksituation habe ich nicht ausgehalten und versuchte mit Alkohol davon loszukommen.
zu 13b. Der Lockdown hat den Weg in die soziale Isolation geebnet. Ich war arbeitslos und verlor dann auch noch die Möglichkeit Sport im Fitnessclub zu machen. Mit diesem Strukturverlust habe ich nicht umgehen können. Auch der Arbeitsmarkt, gerade in meinem Umfeld hat sich nicht mehr bewegt. Meine wirtschaftliche Situation von einem hohen Gehalt in das Arbeitslosengeld hat mir große Angst bereitet und hat sich zugespitzt. Dadurch das ich mein Image nach aussen nicht aufgeben wollte, konnte ich mit niemanden über meine Situation reden.
14. Welche Wirkung haben Sie in der Vergangenheit nach Alkoholgenuss bei sich beobachtet?
(bei wenig und bei viel Alkohol)
zu 14. Zu Trinkbeginn hat es mir geholfen. Ich fühlte mich Selbstbewusst und wollte es dann morgen anpacken locker anpacken. Siegermentalität. Ab einer gewissen Menge Alkohol kippte dann aber oft die Stimmung ins „negative“ und ich erzielte genau das Gegenteil. Wenig Alkohol gab es bei mir nicht.
15. Gab es kritische Hinweise Anderer auf Ihren Alkoholkonsum und wie haben Sie darauf reagiert?
zu 15. Einmal, es war noch am Anfang meiner Alkoholkarriere, kurz nach dem der erste Lockdown aufgehoben wurde. Es rief mich eine Freundin am frühen Abend an. Sie wollte am nächsten Tag spazieren gehen und ich antwortete ja gerne wo wollen wir uns treffen. Sie fragte vollkommen verdutzt, ob ich betrunken sei, weil ich lallte. Ich war schockiert und verneinte mit den Worten: ich melde mich bin voll am Pennen. Ich beschloss ab sofort nicht mehr ans Telefon zu gehen, wenn ich getrunken habe. Ansonsten hat es niemand mitbekommen, da ich Alleine und in Heimlichkeit getrunken hatte.
16. Welche Auswirkungen und Folgen hatte Ihr Alkoholkonsum auf Ihr Leben und Ihr Umfeld?
zu 16. Es hatte weitreichende Folgen. Ich habe mich komplett zurückgezogen aus dem Leben. Daran waren nicht nur die Lockdowns Schuld. Wie es mir geht und was ich mache sollte niemand mitbekommen. Mein Umfeld hat dadurch ebenfalls gelitten, weil ich für niemanden mehr erreichbar war. Durch den Alkohol habe ich nicht wie gedacht Selbstbewusstsein getankt im Gegenteil es raubte mir mein Selbstvertrauen und hinderte mich sicher auch bei meinen Bewerbungsgesprächen, da jemand der im Bereich Beratung tätig ist, zuallererst einmal positives Selbstvertrauen ausstrahlen muss. Durch den Alkohol habe ich die eigentlichen Probleme nicht bearbeitet nur verdrängt und viele falsche Entscheidungen getroffen. Ich war körperlich oft schlapp und mental schlecht drauf. Ich hatte mich rückblickend fast aufgegeben. Meine sportlichen Aktivitäten waren sehr eingeschränkt was mich zusätzlich belastete und wütend machte. Rückblickend habe ich wohl auf ein Wunder gehofft.
17. Gab es in Ihrem bisherigen Leben frühere Zeiten, in denen sie weit mehr Alkohol als heute getrunken haben? Wenn ja, nennen sie bitte die Lebensabschnitte und mögliche Ursachen und Umstände dafür.
zu 17. Heute trinke ich keinen Alkohol, also Abstinent. Dies schon seit 15 Monaten nicht mehr. Davor gab es die Phase mit Alkoholmissbrauch von April 2020 bis April 2021 in denen ich übermäßig viel Alkohol getrunken habe um von meiner damaligen Situation abzulenken.
18. Haben sie jemals die Kontrolle über ihre Trinkmenge verloren und bis zur Volltrunkenheit Alkohol konsumiert?
zu 18. Nein, ich hatte nicht das Bedürfnis bis zur Volltrunkenheit oder einem Blackout zutrinken. Mein Ziel war es meine Ängste und Gefühle zu manipulieren. Ich habe auch nie Alkohol auf Vorrat gekauft. Sondern immer die Menge, die ich meinte, für den Nachmittag/Abend zu brauchen.
19. Haben Sie früher schon einmal oder öfter über einen längeren Zeitraum bewusst und mit Absicht völlig auf den Genuss von Alkohol verzichtet?
zu 19. Aufgrund meiner Erfahrung in der Jugend, meiner Drogenkarriere, habe ich bis vor 4 Jahren gar keinen Alkohol konsumiert. Es war kein“ ich muss verzichten“ Thema, sondern ich mochte einfach nicht. Das Thema Suchtverlagerung Alkohol habe ich damals auf Therapie kennengelernt, aber nie für mich selbst erkannt bzw. angenommen, da ich davon ausging mich betrifft doch eh nicht. Ich will damit sagen, ich hatte nicht das Gefühl verzichten zu müssen. Es gefiel mir nicht, ich konnte es nicht leiden die Kontrolle im Rausch zu verlieren und ich mochte stark alkoholisierte Menschen nicht.
20. In welcher Kategorie eines Alkohol trinkenden Menschen haben Sie sich früher gesehen und wie stufen Sie sich heute rückblickend ein? (mit Begründung)
zu 20. Ich habe von Anfang an nicht wegen des Genusses oder des „tollen“ Geschmackes getrunken, sondern um mich zu betäuben, Gefühle auszublenden und mich stark zu fühlen. Aufgrund der Menge und der Trinkhäufigkeit und des Alleine trinkens, habe ich einen gefährlichen und heimlichen Alkoholmissbrauch betrieben. Rückblickend bin ich dankbar, dass ich mit einem Denkzettel einem blauen Auge aus dieser Talfahrt herausgekommen bin. Wäre ich nicht durch die Polizei gestoppt worden, ich wüsste nicht an welcher Stelle im Leben ich heute stehen würde. Ich habe gelernt, dass ich weder die Trinkmenge (bei einem Glas Wein bleibt es nicht mehr, nie) noch die Trinkfrequenz steuern oder kontrollieren kann, daher kommt für mich nur eine, wie davor gelebte Abstinenz in Frage. Ich habe das mit aller Härte gelernt, denn ich weiß, dass ich mir damals immer eingeredet habe, du machst ja „Sport“ und wenn du wieder eine Arbeit hast hörst du auf. Ergo habe ich ja die Kontrolle. Nur hatte ich dann eine Arbeit, aber schon die nächste Ausrede auf Lager. Es ist ja nicht die Arbeit die du eigentlich machen wolltest.